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Die Fährte der Toten

Die Fährte der Toten

Titel: Die Fährte der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael White
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geronnen ist, breitet sich in ihrem Innern aus. Lees Kehle entfährt ein Fauchen.
     
    Hinter sich hört sie leise, fast lautlose Schritte, und für den Bruchteil einer Sekunde will sie aufspringen, doch dann entspannt sie sich wieder. Es ist immer noch so ungewohnt, nicht mehr allein zu sein.
     
    ‘Du bist schon erwacht', sagt Tanya.
     
    Sie hat Recht, denkt Lee – es ist noch sehr früh, die Nacht hat noch gar nicht recht begonnen. Hat sie etwas aus ihrem Schlaf gerissen? Ihre Gedanken werden von Tanya unterbrochen, die sich zu ihr herunter beugt und sie sanft auf den Mund küsst. Eine zärtliche, vertraute Geste – und eine, von der Lee sich nie und nimmer hätte träumen lassen, dass sie sie so arglos zulassen würde.
     
    'Was ist los mit dir? Du wirkst so...angespannt. Als wenn etwas nicht in Ordnung wäre.'
     
    Wie ein gereiztes Raubtier, denkt Tanya. Doch das behält sie besser für sich, sonst ist die Nacht schon ruiniert, bevor sie überhaupt angefangen hat. Es ist nicht das erste Mal, dass sie Lee in so einer Stimmung erlebt. Und sie hat genug Erfahrung mit ihr gesammelt, um in Momenten wie diesen sehr vorsichtig zu sein.
     
    'Ich hatte eine Vision. Eigentlich war es mehr ein Traum.'
     
    Tanya runzelt leicht die Stirn.
     
    'Lass mich raten – es war kein angenehmer Film, der da in deinem Kopf abgelaufen ist, was?'
     
    Lee sieht sie von der Seite an.
     
    'Nein, das ist es nicht. Es war nur...ach, vergiss es. Es ist mehr eine Ahnung. Ein Gefühl, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte.'
     
    Tanya schluckt die Bemerkung herunter, die ihr auf der Zunge liegt. Das letzte Mal, als Lee ein komisches Gefühl hatte, mit dem Tanya so gar nichts anfangen konnte, gab es Gehacktes nach Art des Hauses. So nah sie ihr inzwischen gekommen ist, so fern ist ihr Lee geblieben, wenn es um den Teil der Vergangenheit geht, wo all das Grauen seinen Anfang genommen haben muss. Was ist geschehen, damals, vor so langer Zeit, dass du manchmal so einen brennenden Hass verspürst? Was haben deine Feinde dir angetan, dass du sie mit solcher Erbitterung verfolgst und auslöschst, denkt sie.
     
    Für einen Moment glaubt Tanya, dass Lee ihr die unausgesprochene Frage beantworten, ihr diesen Teil der Geschichte erzählen wird. Doch Lee streicht ihr nur gedankenverloren eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fährt ihr mit einem Finger über die Wange, bevor sie sich erhebt.
     
    'Ich denke, ich sollte mich anziehen. Wir werden Besuch bekommen. Sei vorbereitet.'
     
    'Äh, worauf soll ich denn - '
     
    Weiter kommt Tanya nicht, denn Lee ist schon in Richtung Haus verschwunden. Tanya verdreht leicht die Augen. Was hatte sie denn auch erwartet? Mit einem Seufzer erhebt sie sich und folgt Lee ins Innere des Hauses, das ihr nun mehr als je zuvor als Festung erscheint, die es gegen einen unsichtbaren Feind zu verteidigen gilt.
     
    ***
     
    Lee sieht die Lichter des Wagens schon von weitem. Wer auch immer da kommt – er will zu ihr. Oder zu jemand anderem, raunt ihr eine Stimme in ihrem Kopf zu. Der Wagen erreicht das Tor, und der Fahrer steigt aus. Zuerst glaubt sie, dass ihre Augen ihr einen Streich spielen. Du siehst langsam Gespenster, denkt sie. Doch es gibt keinen Zweifel. Diese Visage wird sie nicht vergessen. Kyle McCarson. Was zur Hölle will dieses Relikt aus ihrer Vergangenheit von ihr? Und wie hat er sie gefunden?
     
    'Wer ist die Type? Einer deiner Ex-Freunde?'
     
    Tanya lässt das Fernglas sinken, das sie sich vom Tisch geschnappt hat.
     
    'Sehr witzig Süße. Wirklich. Lass ihn lieber rein, damit wir die Sache möglichst schnell abgehandelt bekommen. Na los, steh nicht rum. Und bleib im Haus und lass dich nicht blicken, verstanden?'
 
    'Ist ja gut, ist ja gut...'
     
    Anscheinend wohl eher einer aus der Abteilung Ärger, denkt sie. Könnte ihm nicht gut bekommen. Der Wald ist groß, das Meer ist weit...
     
    Tanya schüttelt sich unwillkürlich. Himmel, auf was für Gedanke kommt sie eigentlich in letzter Zeit? Sie dreht sich um und geht ins Haus. Auf einmal scheint es ihr ein guter Plan zu sein, sich zurückzuziehen. Warum auch immer.
     
    ***
     
    Kyle hat eine Menge Fragen, und er hofft, dass er hier endlich Antworten bekommen wird. Nur ob sie ihm gefallen werden – da ist er sich gar nicht so sicher. Egal, denkt er, nun ist es für solche Überlegungen ohnehin zu spät. Er ist noch auf der Suche nach einer Klingel oder einer Gegensprechanlage, als sich das Tor plötzlich wie von Geisterhand öffnet,

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