Die Fährte
und mit Pauken und Trompeten an die Staatspolizei ausgeliefert wurden. Das Geld wanderte still und leise in die Taschen der wenigen lokalen Beamten, und alles war Friede, Freude, Eierkuchen, bis plötzlich drei Mexikaner auftauchten, die bereit waren, höhere Provisionen zu zahlen, woraufhin der Amerikaner und der Argentinier eines Sonntagmorgens auf dem Markt vor der Poststation mit allem Tamtam der staatlichen Polizei übergeben wurden. Das effektive, marktwirtschaftliche System von Schutzkauf und -verkauf entwickelte sich weiter, und bald füllte sich D'Ajuda mit gesuchten Verbrechern aus aller Herren Länder, die hier ein relativ sicheres Leben führen konnten, und das zu einem Preis, der weit unter dem in Pattaya oder vielen anderen Orten lag. In den achtziger Jahren aber wurde diese schmucke und bis dahin unberührte Perle der Natur mit ihren langen Stranden, den roten Sonnenuntergängen und dem ausgezeichneten Marihuana von den Geiern des Tourismus entdeckt – den Rucksacktouristen. Sie strömten in solchen Mengen und mit einem solchen Konsumwillen nach D'Ajuda, dass die zwei Familien die Wirtschaftlichkeit des Ortes als Flüchtlingslager für Gesetzlose überdenken mussten. Nachdem die angenehm dunklen Bars zu Geschäften umfunktioniert waren, in denen man Tauchausrüstung leihen konnte, und die alten Cafes, wo die lokale Bevölkerung ihren Lambada in herkömmlicher Weise getanzt hatte, Wild-Wild-Moon-Partys zu organisieren begannen, geschah es immer öfter, dass die lokale Polizei plötzliche Razzien in den kleinen weißen Häuschen unternahm und einen wild protestierenden Gefangenen auf den Markt zerrte. Trotzdem war es für einen Gesetzesbrecher hier noch immer viel sicherer als in den meisten anderen Orten der Welt, wenn auch alle ein wenig paranoid geworden waren, nicht nur Roger.
Deshalb gab es auch Platz für einen Mann wie Mohammed Ali in der Nahrungskette von D'Ajuda. Seine Existenzberechtigung beruhte in erster Linie auf seiner strategischen Position auf dem Platz, an dem der Bus aus Porto Segura wendete. Von dem Tresen seiner offenen ahwa aus hatte Mohammed freien Blick auf alles, was sich auf D'Ajudas sonnenverwöhnter, gepflasterter und überdies einziger plaza tat. Wenn neue Busse kamen, hielt er im Servieren von Kaffee oder dem Stopfen der Wasserpfeifen inne, um die Neuankömmlinge zu scannen und eventuelle Polizisten oder Kopfgeldjäger zu entlarven. Wenn seine untrügliche Nase jemanden in diese Kategorien einordnete, schlug er sofort Alarm. Der Alarm war eine Art Abonnementleistung, durch die diejenigen, die ihren monatlichen Beitrag leisteten, einen Anruf oder eine persönliche Nachricht vom kleinen, wieselflinken Paulinho bekamen. Doch Mohammed hatte auch einen persönlichen Grund, die ankommenden Busse zu beobachten. Nachdem er mit Rosalita aus Rio vor ihrem Mann geflohen war, hatte er nicht eine Sekunde daran gezweifelt, was ihm blühen würde, wenn der Betrogene herausfand, wo sie waren. Es war ein Leichtes, für ein paar hundert Dollar einen Mord in Auftrag zu geben, wenn man in die Favelas von Rio oder São Paulo ging, doch auch ein Profi, ein mit allen Orden ausgezeichneter Killer, verlangte nicht mehr als zwei-, dreitausend Dollar plus Spesen für einen Find and destroy -Auftrag, schließlich gab es ein klares Überangebot auf dem Markt. Und für Paare bekam man fünfundzwanzig Prozent Rabatt.
Manchmal kam es vor, dass Menschen, die Mohammed als Jäger identifiziert hatte, direkt zu seiner ahwa kamen. Um den Schein zu wahren, bestellten sie dann gerne Kaffee, aber wenn sie die Tasse halb leer hatten, kam immer die unausweichliche Frage Wissen-Sie-wo-mein-Freund-xy-wohnt oder Kennen-Sie-den-Mann-auf-diesem-Bild-ich-schulde-ihm-noch-Geld. In diesen Fällen verlangte Mohammed ein Extrahonorar, wenn es ihm gelang, den Jäger durch seine Standardantwort »Er hat vor zwei Tagen mit einem dicken Koffer den Bus nach Porto Seguro bestiegen« dazu zu verleiten, mit dem nächsten Bus wieder zurückzufahren.
Als der große, hellhäutige Polizist mit dem verknitterten Leinenanzug und dem weißen Verband im Nacken eine Tasche und eine Playstation-Tüte vor sich auf den Tisch stellte, sich den Schweiß von der Stirn wischte und auf Englisch einen Kaffee bestellte, sah Mohammed deshalb seine Chance für einen kleinen Extraverdienst kommen. Doch es war nicht der Mann, der seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Es war die Frau, die ihn begleitete. Sie hätte sich ebenso gut »Polizei« in
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