Die Fährte
kurze, knatternde Rückmeldungen. Die Nachricht von Ivarsson, dass der Haftbefehl und der Durchsuchungsbefehl unterwegs seien, war vor genau vierzig Minuten eingegangen. Waaler hatte deutlich gemacht, dass er kein Sondereinsatzkommando wollte, er zog es vor, die Verhaftung selbst zu leiten, und hatte sich bereits eine entsprechende Einsatztruppe gesichert. Ivarsson hatte keine Schwierigkeiten gemacht.
Tom Waaler rieb sich die Hände. Vielleicht wegen des kalten Windes, der vom Stadion Bislett aus die Straße hinabwehte, doch eher wohl, weil er sich freute. Festnahmen waren das Beste an diesem Job. Das hatte er schon erkannt, als er als kleiner Junge gemeinsam mit Joakim bei den Apfelbäumen seiner Eltern den Jungs aus den Hochhäusern aufgelauert hatte, die immer wieder kamen, um Äpfel zu stehlen. Und sie waren gekommen. Manchmal gleich acht bis zehn auf einmal. Doch so viele es auch waren, ihre Panik war immer komplett, wenn er und Joakim die Taschenlampen anmachten und durch ihre selbst gebauten Megaphone brüllten. Sie folgten dem Prinzip der Wölfe, die Rentiere jagen, und suchten sich den Kleinsten und Schwächsten aus. Während es die Festnahme war — das Zu-Boden-Werfen der Beute –, die Tom faszinierte, waren es die Strafmaßnahmen, die Joakim begeistert hatten. Seine Kreativität auf diesem Feld war manchmal derart ausufernd gewesen, dass Tom ihn in einzelnen Fällen sogar hatte stoppen müssen. Nicht weil Tom Mitleid mit den Dieben hatte, sondern weil es ihm im Gegensatz zu Joakim gelang, einen kühlen Kopf zu behalten und sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Tom hatte oft gedacht, dass es kein Zufall war, was später aus Joakim geworden war. Er war Oberrichter am Osloer Tinghus und ihm wurde eine glänzende Karriere vorausgesagt.
Aber es war eben die Aussicht auf Festnahmen gewesen, die Tom bewogen hatte, sich bei der Polizei zu bewerben. Sein Vater wollte, dass er Medizin oder Theologie studierte, wie er selbst es getan hatte. Schließlich hatte Tom das beste Zeugnis der Schule, warum also Polizist? Es sei für das Selbstwertgefühl wichtig, eine gute Ausbildung zu haben, hatte sein Vater gesagt und von seinem älteren Bruder erzählt, der als Schraubenverkäufer in einer Eisenwarenhandlung arbeitete und alle Menschen hasste, weil er sich ihnen unterlegen fühlte.
Tom hatte sich die Ermahnungen mit dem schiefen Lächeln angehört, das sein Vater, wie er wusste, so gar nicht mochte. Es war nicht Toms Selbstwertgefühl, um das sich sein Vater Sorgen machte, vielmehr waren es seine Befürchtungen, was die Nachbarn und die Verwandten sagen würden, wenn sein einziger Sohn »bloß« Polizist wurde. Sein Vater hatte nie verstanden, dass man Menschen hassen konnte, auch wenn man besser war als sie. Weil man besser war.
Er sah auf die Uhr. Dreizehn Minuten nach sechs. Er drückte auf einen der Klingelknöpfe in der ersten Etage.
»Hallo?«, antwortete eine Frauenstimme.
»Hier ist die Polizei«, sagte Waaler, »öffnen Sie bitte.«
»Wie kann ich wissen, dass Sie wirklich Polizist sind?«
Pakistani-Tusse, dachte Waaler und bat sie, einen Blick aus dem Fenster auf die Polizeiwagen zu werfen. Dann summte das Türschloss.
»Und bleiben Sie in Ihrer Wohnung«, sagte er durch die Türsprechanlage.
Waaler ging im Innenhof neben der Feuertreppe an einem Mann vorbei. Als er sich im Intranet die Zeichnung des Hauses angesehen und sich überlegt hatte, wo Harrys Wohnung lag, war er zu der Überzeugung gekommen, dass sie auf keine Hintertreppen achten mussten.
Jeder mit einer MP3 bewaffnet, schlichen sich Waaler und zwei Männer über die abgenutzten Stufen nach oben. In der zweiten Etage blieb Waaler stehen und deutete auf eine Tür, die kein Türschild hatte und auch nie eines gebraucht hatte. Er sah die zwei anderen an. Ihre Brustkörbe hoben und senkten sich unter ihren Uniformen und der Grund dafür war nicht die Treppe.
Sie zogen sich die Sturmhauben über. Jetzt kam es auf Schnelligkeit, Effektivität und Entschlossenheit an. Letzteres bedeutete eigentlich bloß die Bereitschaft zur Brutalität – und wenn nötig zum Töten. Das war aber nur selten notwendig. Selbst abgebrühte Verbrecher waren in der Regel wie paralysiert, wenn bewaffnete, maskierte Männer ohne Vorwarnung in ihr Wohnzimmer stürmten. Sie wandten mit anderen Worten die gleiche Taktik an wie die Bankräuber in einer Bank.
Waaler machte sich fertig und nickte einem der anderen zu, der vorsichtig zwei Fingerknöchel an die Tür
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