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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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koche Kaffee und suche Ihnen inzwischen ein paar warme Kleider heraus. Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen gehabt hätte. Er war in vielerlei Hinsicht ein brauchbarer Mann.«
    »Ich …«
    »Los jetzt …«
     
    Die heiße Umarmung lief Harry wohlig den Rücken hinunter und die liebkosenden Bisse kletterten über die Schenkel zu seinen Hüften empor und machten ihm Gänsehaut. Dann ließ er den Rest seines Körpers in das glühend heiße Wasser sinken und legte den Kopf nach hinten.
    Draußen konnte er den Regen hören, und er lauschte, ob er etwas von Vigdis Albu hörte, aber sie hatte eine Platte aufgelegt. Police. Greatest Hits, na dann. Er schloss die Augen.
    »Sending out an SOS, sending out an SOS …«, sang Sting. Dabei hatte Harry diesem Typ doch vertraut. Apropos. Er rechnete damit, dass Beate die Mail inzwischen gelesen hatte. Dass sie die Information weitergegeben hatte und die Fuchsjagd inzwischen abgeblasen war. Der Alkohol hatte seine Augenlider schwer gemacht. Doch jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er zwei Beine mit handgenähten, italienischen Schuhen aus dem dampfenden Badewasser emporragen. Er tastete hinter seinem Kopf herum. Dort hatte er seinen Drink abgestellt. Bis zu Beates Anruf hatte er bei Schröder bloß zwei große Bier geschafft, und das war noch lange nicht die Betäubung gewesen, die er brauchte. Wo war denn bloß dieses verfluchte Glas? Und wenn Tom Waaler ihn trotzdem zu finden versuchte? Harry wusste, dass er auf diese Festnahme brannte. Aber es kam für Harry nicht in Frage, sich in Untersuchungshaft nehmen zu lassen, ehe er alle Details dieser Geschichte kannte. Im Moment durfte er niemandem außer sich selbst trauen. Er musste das schaffen. Nur erst eine kleine Auszeit. Ein Drink noch. Und das Sofa für die kommende Nacht. Den Kopf klar kriegen. Es schaffen. Morgen.
    Seine Hand traf das Glas und das schwere Kristall schlug mit einem dumpfen Knirschen auf den Bodenfliesen auf.
    Harry fluchte und richtete sich auf. Er wäre beinahe ausgerutscht, konnte sich aber im letzten Moment an der Wand abstützen. Er band sich ein dickes Frotteehandtuch um und ging ins Wohnzimmer. Die Ginflasche stand noch immer auf dem Wohnzimmertisch. Im Barschrank fand er ein Glas, das er sich randvoll goss. Er hörte die Kaffeemaschine arbeiten. Und Vigdis' Stimme unten aus der Halle. Er ging wieder ins Bad und stellte das Glas vorsichtig neben den Kleidern ab, die Vigdis ihm bereitgelegt hatte. Eine komplette Bjørn-Borg-Kollektion in Hellblau und Schwarz. Er fuhr mit dem Handtuch über den Spiegel und begegnete in den beschlagenen Streifen seinem eigenen Blick.
    »Du Idiot«, flüsterte er.
    Dann sah er zu Boden. Ein roter Streifen kroch über die Fugen zwischen den Fliesen zum Ablaufrost. Er folgte dem Streifen zurück zu seinem rechten Fuß, wo das Blut zwischen seinen Zehen hervorsickerte. Er stand mitten in den Glasscherben und hatte es noch nicht einmal bemerkt. Er hatte nicht das Geringste bemerkt. Erneut warf er einen Blick in den Spiegel und lachte laut.
     
    Vigdis legte den Hörer auf. Sie hatte improvisieren müssen. Dabei hasste sie es, zu improvisieren, sie fühlte sich immer richtig krank, wenn die Dinge nicht nach Plan liefen. Schon als kleines Mädchen hatte sie begriffen, dass nichts von allein geschah, sondern dass es einzig und allein auf den Plan ankam. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie die Familie von Skien nach Slemdal gezogen war. Sie ging in die siebte Klasse und stand plötzlich vor den neuen Mitschülern. Sie hatte gesagt, wie sie hieß, während die anderen bloß dasaßen und sie anstarrten, ihre Kleider und den seltsamen Plastikrucksack, der einige der Mädchen sogar dazu verleitet hatte, kichernd mit dem Finger auf sie zu zeigen. In der letzten Stunde hatte sie eine Liste verfasst, welche von den Mädchen der Klasse ihre besten Freundinnen werden sollten, wem sie die kalte Schulter zeigen wollte, welche der Jungen sich in sie verlieben sollten und bei welchem Lehrer sie die Lieblingsschülerin werden wollte. Zu Hause hatte sie die Liste über ihr Bett gehängt und erst Weihnachten wieder abgenommen, als hinter jedem der Namen ein Häkchen war.
    Doch jetzt war es anders, jetzt war sie auf andere angewiesen, damit alles wieder an seinen Platz kam.
    Sie sah auf die Uhr. Zehn vor halb neun. Tom Waaler hatte gesagt, dass sie es innerhalb von zwölf Minuten schaffen sollten. Er hatte versprochen, die Sirenen schon außerhalb von Slemdal abzuschalten, so dass sie

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