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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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finden.«
    »Und?«, fragte Harry ungeduldig.
    »Keine Spucke am Glas.«
    Harry stöhnte.
    »Aber ein mikroskopisch kleiner Tropfen kondensierter Atem«, sagte Weber.
    »Wirklich?«
    »Yes.«
    »Jemand muss in der letzten Zeit begonnen haben, Abendgebete zu sprechen. Gratuliere, Weber.«
    »Ich rechne damit, dass wir in drei Tagen das DNA-Profil haben. Dann heißt es nur noch vergleichen. Ich tippe, dass wir ihn bis Ende der Woche haben.«
    »Ich hoffe, du hast Recht.«
    »Das habe ich.«
    »Wie auch immer, danke dass du mir ein bisschen von meinem Appetit gerettet hast.«
    Harry legte auf und zog sich die Jacke an. Er wollte gerade die Wohnung verlassen, als ihm einfiel, dass er den PC noch nicht ausgeschaltet hatte, und ging zurück ins Schlafzimmer. Als er die Hand auf die Maus legte, sah er es. Seine Herzschläge schienen zu stocken und das Blut in seinen Adern zu gerinnen. Er hatte eine Mail. Natürlich hätte er trotzdem ausschalten können. Ausschalten sollen, schließlich deutete nichts darauf hin, dass es etwas Eiliges war. Es konnte von irgendwem sein. Eigentlich gab es nur einen, von dem diese Mail nicht sein konnte. Wie gern wäre Harry jetzt bereits auf dem Weg zu Schröder gewesen. Langsamen Schrittes über die Dovregata, wo er sich Gedanken über das Paar Schuhe hätte machen können, die dort oben zwischen Himmel und Erde schwebten, oder von Rakel träumen. So etwas. Doch es war zu spät, seine Finger hatten längst das Kommando übernommen. Es ratterte im Inneren der Maschine. Dann erschien die Mail auf dem Bildschirm. Sie war lang.
    Als Harry ausgelesen hatte, warf er einen Blick auf die Uhr. 18.04 Uhr. Das war wie ein eingebauter Reflex, den man nach Jahren des Berichteschreibens hatte. So konnte er auf die Minute genau angeben, wann die Welt für ihn unterging.
     
    Hei Harry!
    Warum so ein langes Gesicht? Hattest du vielleicht nicht mehr damit gerechnet, von mir zu hören? Nun, das Leben ist voller Überraschungen, Harry. Was inzwischen vermutlich auch Arne Albu zu spüren bekommen hat, wenn du diese Zeilen liest. Wir, das heißt du und ich, haben ihm ja das Leben ganz schön zur Hölle gemacht, nicht wahr? Ich irre mich doch wohl nicht, wenn ich annehme, dass seine Frau sich die Kinder geschnappt und ihn verlassen hat. Grausam, nicht wahr? Einem Mann die Familie zu nehmen, speziell wenn man weiß, dass sie das Wichtigste im Leben dieses Menschen war. Aber das hat er sich selbst zuzuschreiben. Untreue kann nicht hart genug bestraft werden, da bist du doch meiner Meinung, Harry? Wie auch immer, meine kleine Racheaktion endet hier. Du wirst nie wieder von mir hören.
    Aber da du ja eigentlich eine unschuldige Person bist, die in die Sache mit hineingezogen worden ist, schulde ich dir wohl eine Erklärung. Die Erklärung ist relativ einfach. Ich habe Anna geliebt. Das habe ich wirklich. Was sie war und was sie mir gegeben hat.
    Sie aber hat nur geliebt, was ich ihr gegeben habe. Schnee. The Big Sleep. Du wusstest nicht, dass sie ein Vollblutjunkie war? Das Leben ist – wie gesagt – voller Überraschungen. Ich war es, der sie nach einer ihrer – blicken wir der Wahrheit ins Auge – missglückten Ausstellungen mit dem Stoff bekannt machte. Aber die beiden waren wie füreinander geschaffen. Es war Liebe auf den ersten Stich. Vier Jahre lang war Anna meine Kundin und heimliche Geliebte, die Rollen waren unmöglich zu trennen, um es mal so zu sagen.
    Verwirrt, Harry? Weil ihr keine Einstichlöcher gefunden habt, als ihr sie ausgezogen habt? Ja, das mit »Liebe auf den ersten Stich« war nur so dahin gesagt. Anna mochte nämlich keine Spritzen. Wir rauchten unser Heroin im Silberpapier kubanischer Schokoladen. Das ist natürlich teurer, als es direkt zu injizieren, doch auf der anderen Seite bekam Anna ihren Stoff zum Großhandelspreis, so lange sie mit mir zusammen war. Wir waren – wie sagt man? – unzertrennlich. Meine Augen werden noch immer feucht, wenn ich an diese Zeit denke. Sie hat alles getan, was eine Frau für einen Mann tun kann: Sie hat mich gevögelt, gefüttert, beschenkt, vergnügt und getröstet. Und angefleht. Im Grunde war die Liebe das Einzige, was sie mir nicht gegeben hat. Woran kann es nur liegen, dass gerade das so verflucht schwierig ist, Harry? Schließlich hat sie dich geliebt, obwohl du nichts, aber auch gar nichts für sie getan hast. Sogar Arne Albu konnte sie lieben. Dabei hatte ich gedacht, er wäre nur ein Trottel, dem sie Geld abzapfen konnte, damit sie sich den

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