Die Fährte
legte, damit sie später in ihrem Bericht schreiben konnten, sie hätten angeklopft. Dann schlug Waaler mit dem Kolben seiner Waffe das Glas der Tür ein, streckte die Hand hinein und öffnete die Tür. Er brüllte, als sie die Wohnung stürmten. Ein Vokal oder der Beginn eines Wortes, er war sich nicht sicher. Er wusste nur, dass es noch immer der gleiche Laut war wie damals, wenn er mit Joakim die Taschenlampen einschaltete. Das war das Beste von allem.
»Kartoffelklöße«, sagte Maja, hob den Teller und sah Harry mitleidig an. »Und du hast sie noch nicht einmal angerührt.«
»Tut mir Leid«, erwiderte Harry. »Hab keinen Hunger. Sag dem Koch einen Gruß, es ist nicht seine Schuld. Dieses Mal.«
Maja lachte herzlich und verschwand in Richtung Küche.
»Maja …«
Sie drehte sich langsam um. Es lag etwas in Harrys Stimme, etwas in seinem Tonfall, das sie wissen ließ, was kommen würde.
»Und bring bitte auf dem Rückweg ein Bier mit, ja?«
Sie verschwand in die Küche. Das geht mich nichts an, dachte sie. Ich bin ja bloß die Bedienung, es geht mich nichts an.
»Was ist los, Maja?«, fragte der Koch, während er das Essen vom Teller in den Abfall gleiten ließ.
»Es ist nicht mein Leben«, sagte sie. »Sondern seines. Dieser Idiot.«
Das Telefon in Beates Büro klingelte dünn und sie nahm den Hörer ab. Als Erstes hörte sie nur den Laut von Stimmen, Gelächter, klirrendes Glas. Dann kam die Stimme.
»Störe ich?«
Einen Moment lang war sie unsicher, es lag etwas Fremdes in seiner Stimme. Aber wer sonst sollte es sein? »Harry?«
»Was machst du gerade?«
»Ich … ich überprüfe im Internet, ob es nicht irgendeinen Tipp gibt. Harry …«
»Ihr habt also das Video vom Überfall in Grensen ins Internet gestellt?«
»Ja doch, aber du …«
»Es gibt ein paar Dinge, die ich dir sagen muss, Beate. Arne Albu …«
»O.K., O.K., aber hör mir erst einmal zu.«
»Du hörst dich gestresst an, Beate.«
»Das bin ich!« Ihr lauter Ruf knackte im Hörer. Dann – ruhiger: »Sie haben es auf dich abgesehen, Harry. Ich habe versucht, dich anzurufen und dich zu warnen, nachdem sie ausgerückt waren, aber es war niemand zu Hause.«
»Wovon redest du?«
»Tom Waaler. Er hat einen Haftbefehl gegen dich.«
»Was? Einen Haftbefehl?«
Jetzt erkannte Beate, was das Fremde in seiner Stimme war. Er hatte getrunken. Sie schluckte. »Sag mir, wo du bist, Harry, dann komme ich und hole dich. Dann können wir sagen, dass du dich selbst gestellt hast. Ich weiß nicht recht, worum es bei dem Ganzen geht, aber ich werde dir helfen, Harry. Das verspreche ich. Harry? Mach keine Dummheiten, hörst du? Harry?«
Sie blieb sitzen und lauschte den Stimmen, dem Gelächter und dem Klirren von Glas, bis sie Schritte und eine heisere Frauenstimme hörte: »Hier ist Maja bei Schrøder.«
»Wo …?«
»Er ist gegangen.«
Kapitel 35 – SOS
Vigdis Albu wachte von Gregors Bellen im Garten auf. Der Regen trommelte auf das Dach. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Halb acht. Sie musste eingeschlafen sein. Das Glas vor ihr war leer, das Haus war leer, alles war leer. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.
Sie stand auf, ging zur Terrassentür und sah zu Gregor hinüber. Er stand mit dem Kopf zum Eingangstor, Ohren und Schwanz senkrecht aufgerichtet. Was sollte sie tun? Ihn weggeben? Einschläfern lassen? Nicht einmal die Kinder hatten eine Beziehung zu diesem hyperaktiven, nervösen Tier. Der Plan, ja. Sie sah zu der halb leeren Ginflasche auf dem Tisch hinüber. Es war an der Zeit, einen neuen zu machen.
Gregors Gebell schnitt sich durch die Luft. Wuff! Wuff! Arne hatte behauptet, dieses nervenaufreibende Geräusch beruhigend zu finden, es gebe ihm irgendwie das Gefühl, dass jemand Wache hielt. Er sagte, Hunde könnten Feinde riechen, weil diejenigen, die etwas Böses im Schilde führten, anders röchen als Freunde. Sie entschloss sich, am nächsten Tag einen Tierarzt anzurufen, sie war es leid, einen Hund zu füttern, der jedes Mal zu bellen begann, wenn sie den Raum betrat.
Sie öffnete die Terrassentür einen Spaltbreit und lauschte. Durch das Gebell und den Regen drang das Knirschen von Kies an ihr Ohr. Es gelang ihr noch, sich rasch zu kämmen und den Mascarafleck unter dem linken Auge wegzuwischen, ehe die Klingel die drei Töne aus Händels Messias anstimmte, das Geschenk der Schwiegereltern zum Einzug. Sie hatte eine Ahnung, wer das sein konnte, und sollte Recht behalten.
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