Die Fährte
klirrte, als der Zaun den angreifenden Tennisspieler auffing.
Er stürzte auf die Asche, sackte auf alle viere, stand wieder auf, nahm erneut Anlauf und warf sich gegen den Zaun. Fiel, stand auf und griff wieder an.
»Mein Gott, der ist vollkommen von Sinnen«, murmelte Harry. Automatisch trat er einen Schritt zurück, als das weiße Gesicht mit den aufgerissenen Augen vor ihm im Licht auftauchte. Beate hatte die Taschenlampe eingeschaltet und den Lichtstrahl auf Grette gerichtet, der im Netz hing. Schwarze, nasse Haare klebten auf seiner weißen Stirn, und sein Blick schien nach etwas zu suchen, als er wie Seife auf einer Autoscheibe am Netz nach unten rutschte, bis er reglos auf dem Boden lag.
»Was machen wir jetzt?«, flüsterte Beate.
Harry spürte es zwischen den Zähnen knirschen. Er spuckte auf seine Handfläche und erkannte rote Asche.
»Du rufst einen Krankenwagen und ich hole den Bolzenschneider aus dem Auto«, sagte er.
»Und dann hat er irgendwas zur Beruhigung gekriegt?«, fragte Anna.
Harry nickte und nippte an der Cola.
Die junge Weststadtklientel saß auf wackeligen Barhockern um sie herum und trank Wein, durchsichtige Drinks oder Cola light. Das »M« war wie die meisten Cafes in Oslo auf eine provinzielle, naive Art urban. Es war nicht unsympathisch, und Harry musste an Diss denken, seinen früheren, wohlerzogenen Klassenkameraden, der, wie sie eines Tages entdeckt hatten, in einem kleinen Buch all die Slangausdrücke niederschrieb, die die coolsten Jungs der Klasse benutzten.
»Sie haben den Armen ins Krankenhaus gebracht. Dann haben wir noch einmal mit der Nachbarin gesprochen, und die hat uns gesagt, dass er seit dem Tod seiner Frau jeden Abend da gestanden und Aufschläge trainiert hat. Manche verdrängen einfach alles und tun so, als ob die Toten noch lebten. Die Nachbarin erzählte, Trond und Stine Grette seien ein wirklich gutes Mixedpaar gewesen, und dass sie im Sommer fast jeden Nachmittag trainierten.«
»Dann wartete er also irgendwie darauf, dass seine Frau die Bälle zurückschlug?«
»Vielleicht.«
»Jesus! Bestellst du mir ein Bier, ich muss aufs Klo.«
Anna stand schwungvoll auf und ging mit schwingenden Hüften durch das Lokal. Harry versuchte, ihr nicht nachzublicken. Es war nicht nötig, er hatte gesehen, was er wissen musste. Sie hatte an den Augen ein paar Fältchen bekommen und vereinzelte graue Haare, doch ansonsten war sie unverändert. Die gleichen schwarzen Augen mit dem etwas gehetzten Blick unter den zusammengewachsenen Augenbrauen, die gleiche schmale, hohe Nase über den vulgären, vollen Lippen und die noch immer eingefallenen Wangen, die ihr diesen hungrigen Ausdruck gaben. Sie war nicht direkt hübsch, dafür waren ihre Züge zu hart und kräftig, doch ihr schlanker Körper hatte noch immer so viele Kurven, dass Harry mindestens zwei Männer auffielen, die aus dem Konzept kamen, als sie vorbeiging.
Harry zündete sich eine weitere Zigarette an. Nach Grette hatten sie Helge Klementsen, den Filialleiter, besucht, doch auch hier hatten sie nicht viel Brauchbares erfahren. Er war noch immer in einer Art Schockzustand und hatte auf einem Stuhl in seiner Doppelhaushälfte im Kjelsäsvei gehockt und abwechselnd von seinem herumwieselnden Königspudel zu seiner nicht minder unruhigen Frau geschaut, die unablässig mit Kaffee und den trockensten Keksen, die Harry jemals gegessen hatte, zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her rannte. Beates Kleider hatten besser in das bürgerliche Heim der Klementsens gepasst als Harrys ausgewaschene Jeans und seine Doc Martens. Trotzdem war es größtenteils Harry, der mit der nervös herumtrippelnden Frau Klementsen über die ungewöhnlich hohen Niederschlagsmengen dieses Herbstes plauderte oder über die Kunst, gerade diese Kekse zu backen, wobei sie aber immer wieder durch stampfende Schritte und lautes Schluchzen von der oberen Etage unterbrochen wurden. Frau Klementsen erklärte, dass der Mann ihrer armen, im sechsten Monat schwangeren Tochter Ina gerade erst das Weite gesucht habe. Weit weg sei er gegangen, nach Kos, und dort gehöre er auch hin, denn er sei Grieche. Harry hätte vor Lachen beinahe den ganzen Keks über dem Tisch verteilt, als Beate endlich das Wort ergriff und Helge Klementsen ruhig fragte: »Wie groß, glauben Sie, war der Bankräuber?«
Helge Klementsen hatte sie angesehen, die Kaffeetasse ergriffen und sie halb zum Mund geführt, wo sie jedoch notwendigerweise warten musste, da er nicht
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