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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Hinterzimmer des Schlüsseldienstes kommt, als ich gerade zur Tür gehe. Und ich sehe die Bedienung im ›M‹ und Per Ståle Lønning.«
    Sie lachte. »Wusstest du, dass die Netzhaut alles umdreht, so dass man zuerst alles spiegelverkehrt sieht? Wenn man die Dinge so sehen will, wie sie wirklich sind, muss man sie durch einen Spiegel betrachten. Dann würdest du ganz andere Menschen auf den Bildern sehen.« Ihre Augen strahlten, und Harry konnte einfach nicht seinen Einwand bringen, dass die Netzhaut die Bilder nicht spiegelverkehrt darstellt, sondern auf dem Kopf. »Das wird mein wirkliches Meisterwerk werden, Harry. Daran wird man sich erinnern.«
    »Diese Porträts?«
    »Nein, die sind nur ein Teil des gesamten Kunstwerks. Es ist noch nicht fertig, aber warte nur.«
    »Hm, hast du schon einen Namen dafür?«
    »Nemesis«, sagte sie leise.
    Er sah sie fragend an und ihre Blicke verhakten sich.
    »Nach der Göttin, du weißt schon.«
    Schatten fiel auf die eine Seite ihres Gesichts. Harry sah weg. Er hatte genug gesehen. Den Schwung ihres Rückens, der einen Tanzpartner suchte, den einen Fuß, den sie etwas vor den anderen gestellt hatte, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie kommen oder gehen sollte, ihre Brüste, die sich hoben und senkten, und ihren schmalen Hals mit der dicken Ader, in der er ihren Pulsschlag sehen konnte. Ihm war warm und er fühlte sich ein wenig schwindelig. Was hatte sie gesagt? »Du solltest nicht so leicht aufgeben.« Hatte er das?
    »Harry …«
    »Ich muss gehen«, sagte er.
     
    Er zog ihr das Kleid über den Kopf und sie ließ sich lachend nach hinten auf die weißen Laken fallen. Sie löste seinen Gürtel, während vom Schreibtisch her der Bildschirmschoner des Laptops die Geisterköpfe und aufgerissenen Mäuler der Dämonen, die in die Bettpfosten geschnitzt waren, in türkises Flackerlicht tauchte. Anna hatte erzählt, dass das Bett einmal ihrer Großmutter gehört und dass es beinahe achtzig Jahre dort gestanden hatte. Sie biss ihn ins Ohr und flüsterte Worte in einer unbekannten Sprache. Dann hörte sie auf zu flüstern und ritt ihn, während sie rief und lachte und unbekannte Mächte anflehte, und Harry wünschte sich nur, es würde nie zu Ende gehen. Kurz bevor er kam, hielt sie abrupt inne, nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und flüsterte: »Für ewig mein?«
    »Vergiss es«, lachte er und drehte sie um, so dass er über sie kam. Die hölzernen Dämonen grinsten ihn an.
    »Für ewig mein?«
    »Ja«, stöhnte er und kam.
    Als das Gelächter verstummt war und sie verschwitzt, aber eng umschlungen auf der Bettdecke lagen, erzählte Anna, dass ihre Großmutter das Bett von einem spanischen Adligen geschenkt bekommen hatte.
    »Nach einem Konzert, das sie 1911 in Sevilla gegeben hatte«, sagte sie und hob ihren Kopf ein wenig, so dass Harry ihr die entzündete Zigarette zwischen die Lippen stecken konnte.
    Das Bett kam drei Monate später mit dem Dampfschiff »Eleonora« in Oslo an. Der Zufall, und vielleicht noch ein bisschen mehr, wollte es, dass der dänische Kapitän, Jesper-ich-weiß-nicht-wie-weiter, Großmutters erster Liebhaber in diesem Bett wurde, aber nicht ihr erster überhaupt. Jesper muss ein sehr leidenschaftlicher Mann gewesen sein, und das ist, laut Großmutter, auch der Grund dafür, weshalb dem Pferd ganz oben auf dem Bettpfosten der Kopf fehlt. Das habe nämlich Kapitän Jesper vor Ekstase abgebissen.
    Anna lachte und Harry lächelte. Dann war die Zigarette heruntergebrannt, und sie liebten sich beim Knirschen und Knacken des spanischen Manilaholzes, was Harry auf den Gedanken brachte, an Bord eines steuerlosen Schiffes zu sein, doch das war ein gutes Gefühl.
    Es war lange her und das erste und letzte Mal gewesen, dass er nüchtern in Annas Großmutterbett eingeschlafen war.
    Harry wandte sich in dem schmalen Eisenbett herum. 3.21 Uhr leuchtete es vom Display des Radioweckers auf dem Nachttischchen. Er fluchte. Dann schloss er die Augen, und langsam glitten seine Gedanken zurück zu Anna und dem Sommer auf den weißen Laken im Bett ihrer Großmutter. Die meiste Zeit über war er voll gewesen, doch die Nächte, an die er sich erinnerte, waren warm und rosa gewesen wie erotische Postkarten. Sogar seine letzten Worte am Ende des Sommers hatten wie ein abgenutztes, aber warm und innerlich empfundenes Klischee geklungen: »Du verdienst jemand Besseres als mich.«
    In dieser Zeit hatte er dermaßen getrunken, dass es mit ihm nur in eine Richtung gehen

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