Die Fährte
deinem Keller abgeschickt wurden. Dass der Absender also, mit anderen Worten, alles schon vorbereitet hatte, ehe der Laptop samt Handy in deinen Keller gestellt wurde. Korrekt?«
»Hm. Hast du dir die Inhalte der Mails unter den Gesichtspunkten angesehen, um die ich dich gebeten habe?«
»Ja, doch. Wenn man sie im Nachhinein liest, erkennt man schon, dass sie zwar einen bestimmten Handlungsverlauf skizzieren, insgesamt aber recht vage bleiben. Das fällt einem aber natürlich nicht auf, wenn man selbst mittendrin ist. Da muss man natürlich den Eindruck bekommen, der Entsprechende sei voll informiert und zu jeder Zeit auf dem Laufenden. Aber das konnte ihm gelingen, weil er ja in vielerlei Hinsicht das Ganze dirigiert hat.«
»Nun. Wir wissen noch nicht, ob es Gunnerud war, der den Mord an Arne Albu orchestriert hat. Ein Arbeitskollege vom Schlüsseldienst behauptet, dass Gunnerud und er zur vermutlichen Tatzeit im Gamle Major etwas getrunken haben.«
Aune rieb sich die Hände. Harry wusste nicht, ob die Ursache dafür der kalte Wind war oder seine Freude über die vielen logischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. »Gehen wir mal davon aus, dass es Gunnerud war, der Albu getötet hat«, sagte der Psychologe. »Welches Schicksal hatte er für Albu ausersehen, als er dich auf ihn losließ? Dass Albu verurteilt würde? Aber dann wärst du ja ungeschoren davongekommen. Oder umgekehrt. Zwei Männer können nicht für den gleichen Mord verantwortlich gemacht werden.«
»Richtig«, sagte Harry. »Aber vielleicht sollte man sich fragen, was das Wichtigste in Arne Albus Leben war.«
»Exakt«, sagte Aune. »Ein Vater von drei Kindern, der freiwillig oder unfreiwillig seine beruflichen Ambitionen herabschraubt. Die Familie, nehme ich an.«
»Und was hat Gunnerud, oder was habe meinetwegen ich, mit dem Beweis erreicht, dass Arne Albu Anna noch immer traf?«
»Dass seine Frau sich die Kinder geschnappt und ihn verlassen hat.«
»Das Schlimmste für einen Menschen ist nicht, ihm das Leben zu nehmen, sondern das, wofür er lebt.«
»Ein gutes Zitat.« Aune nickte anerkennend. »Von wem ist das?«
»Das habe ich vergessen«, antwortete Harry.
»Aber noch eine andere Frage muss man sich stellen. Was wollte er dir nehmen, Harry? Was macht dein Leben lebenswert?«
Sie hatten das Haus erreicht, in dem Anna gewohnt hatte. Harry fingerte lange mit den Schlüsseln herum.
»Nun?«, fragte Aune.
»Gunnerud kannte von mir wohl nur das, was Anna erzählt hatte. Und sie kannte mich in einer Zeit, in der ich … tja, nicht viel mehr als meinen Job hatte.«
»Job?«
»Er wollte, dass ich in den Knast gehe. Und davor natürlich meinen unehrenhaften Abschied von der Polizei.«
Schweigend gingen sie die Treppen empor.
Im Innern der Wohnung hatten Weber und seine Leute ihre Arbeit beendet. Weber berichtete zufrieden, dass sie an mehreren Stellen Gunneruds Fingerabdrücke gefunden hätten, unter anderem am Bett.
»Er ist nicht gerade vorsichtig gewesen«, sagte Weber.
»Er war hier so oft, dass ihr ohnehin irgendwo Abdrücke gefunden hättet«, sagte Harry. »Außerdem war er überzeugt davon, niemals verdächtigt zu werden.«
»Der Mord an Albu war übrigens ziemlich interessant«, sagte Aune, während Harry die Schiebetür zu dem Raum mit den Porträts und der Grimmer-Lampe öffnete. »Falsch herum begraben. Am Strand. Das wirkt ziemlich rituell, als wollte uns der Mörder etwas über sich selbst verraten. Hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?«
»Mit dem Fall habe ich nichts zu tun.«
»Das habe ich dich nicht gefragt.«
»Nun. Vielleicht wollte der Mörder eher etwas über das Opfer zum Ausdruck bringen.«
»Wie meinst du das?«
Harry schaltete die Grimmer-Lampe ein und das Licht fiel auf die drei Bilder. »Ich musste an etwas denken, das ich damals im Jurastudium gelesen habe. Im Gulathing-Gesetz aus dem Jahre 1100. Darin heißt es, dass jeder Mensch Anspruch darauf hat, in geweihter Erde begraben zu werden, nur nicht Verbrecher, Verräter und Mörder. Diese sollen im Spülsaum des Meeres verscharrt werden, dort, wo sich Wasser und Land treffen. Der Ort, an dem Albu begraben worden ist, deutet nicht auf eine Tat aus Eifersucht hin, wie wenn Gunnerud ihn getötet hätte. Da will uns jemand zeigen, dass Arne Albu ein Verbrecher war.«
»Interessant«, sagte Aune. »Warum willst du, dass wir uns diese Bilder noch einmal ansehen? Die sind schrecklich.«
»Bist du dir wirklich sicher, dass du nichts darin
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