Die Fährte
interne Untersuchungskommission vom Dienst suspendiert, schrieb die Zeitung und zitierte den Polizeipräsidenten, der betonte, dass das ein ganz normaler Routinevorgang in solchen Fällen sei und nichts mit dem Fall Sverre Olsen zu tun habe.
Auch der Brand einer Hütte in Tryvann war in der Zeitung in einer kleinen Notiz erwähnt, weil man ein Stück von der total ausgebrannten Hütte entfernt einen leeren Kanister gefunden hatte, in dem Benzin gewesen war. Deshalb wollte die Polizei nicht ausschließen, dass es sich um Brandstiftung handelte. Was nicht abgedruckt worden war, waren die Versuche der Reporter, mit Birger Gunnerud in Kontakt zu kommen, um eine Stellungnahme zu erhalten, wie es war, am gleichen Abend Bruder und Hütte zu verlieren.
Es wurde früh dunkel und bereits gegen drei Uhr nachmittags begannen die Straßenlaternen zu flackern.
Ein Standbild des Überfalls auf die Filiale in Grensen zitterte auf der Leinwand, als Harry ins House of Pain kam.
»Bist du weitergekommen?«, fragte er und nickte in Richtung Leinwand, auf der der Exekutor in vollem Galopp zu sehen war.
Beate schüttelte den Kopf. »Wir warten.«
»Darauf, dass er wieder zuschlägt?«
»Er sitzt irgendwo und plant jetzt seinen nächsten Überfall. Der kommt im Laufe der nächsten Woche, denke ich.«
»Du wirkst so sicher.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Erfahrung.«
»Deine?«
Sie lächelte, antwortete aber nicht.
Harry setzte sich. »Ich hoffe, ich habe euch keinen Strich durch die Rechnung gemacht, als ich mich nicht an das gehalten habe, was ich dir am Telefon gesagt habe.«
Sie runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Dass ich seine Wohnung erst heute Morgen durchsuchen wollte.«
Harry blickte sie an. Sie schien wirklich keine Ahnung zu haben. Aber Harry arbeitete nicht beim Secret Service. Er wollte etwas sagen, ließ es dann aber bleiben. Stattdessen war es Beate, die das Wort ergriff: »Es gibt eine Sache, die ich dich fragen muss, Harry.«
»Schieß los.«
»Wusstest du von Raskol und meinem Vater?«
»An was denkst du?«
»Dass es Raskol war … damals in dieser Bank. Dass er es war, der ihn erschossen hat.«
Harry blickte zu Boden. Studierte seine Hände. »Nein«, sagte er. »Das wusste ich nicht.«
»Aber es ist dir klar geworden?«
Er sah auf und begegnete Beates Blick. »Ich hatte den Gedanken, das ist alles.«
»Warum bist du auf diesen Gedanken gekommen?«
»Buße.«
»Buße?«
Harry holte tief Luft. »Manchmal raubt einem das Ungeheuerliche eines Verbrechens die Sicht. Oder die Einsicht.«
»Wie meinst du das?«
»Alle Menschen haben das Bedürfnis, Buße zu tun, Beate. Du tust das. Und, weiß Gott, ich tue es auch. Und Raskol tut es. Das ist ebenso grundlegend wie sich zu waschen. Es geht um Harmonie, um eine lebensnotwendige Balance in unserem Inneren. Und diese Balance nennen wir Moral.«
Harry sah Beate weiß werden. Dann rot. Schließlich öffnete sie den Mund.
»Niemand weiß, warum sich Raskol der Polizei gestellt hat«, sagte Harry. »Aber ich bin überzeugt, dass er das getan hat, um zu büßen. Denn für einen, dessen einzige Freiheit es war, zu reisen, ist das Gefängnis die ultimative Strafe. Anderen das Leben zu nehmen, ist etwas anderes, als Geld zu stehlen. Nehmen wir mal an, er hätte ein Verbrechen begangen, das ihm die Balance geraubt hat. So dass er sich entschied, in vollkommener Einsamkeit zu büßen, für sich und – wenn er einen hat – für Gott.«
Beate brachte endlich die Worte über die Lippen. »Ein moralischer Mörder?«
Harry wartete, aber mehr kam nicht.
»Ein moralischer Mensch ist einer, der die Konsequenzen seiner eigenen Moral zieht«, sagte er leise. »Sonst nichts.«
»Und was, wenn ich mir das hier umgehängt hätte?«, fragte Beate mit verbitterter Stimme, öffnete die Schublade vor sich und nahm das Schulterhalfter heraus. »Was, wenn ich mich mit Raskol in einem der Besucherzimmer hätte einschließen lassen und dann gesagt hätte, er habe mich angegriffen, so dass ich mich hätte verteidigen müssen? Seinen eigenen Vater zu rächen und gleichzeitig Ungeziefer zu bekämpfen, ist das moralisch genug für dich?« Sie knallte das Halfter auf den Tisch.
Harry lehnte sich zurück und schloss die Augen, bis er hörte, dass sich ihr schneller Atem wieder beruhigt hatte. »Die Frage ist, was für dich moralisch genug ist, Beate. Ich weiß nicht, warum du dieses Schulterhalfter mitgenommen hast, und ich habe nicht vor, dich in irgendeiner Hinsicht
Weitere Kostenlose Bücher