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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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dachte nach. »Ja, das kann schon sein. Es kann aber auch die Tochter von Frau Melkersen gewesen sein, die zu Besuch war. Zum Beispiel.«
    »Mach's gut, Ali.«
    Harry entschloss sich, rasch eine Dusche zu nehmen, ehe er sich umzog und zu Rakel und Oleg hochfuhr, die ihn auf Pfannekuchen und Tetris eingeladen hatten. Bei der Rückkehr aus Moskau hatte ihm Rakel ein wunderschönes Schachspiel mit geschnitzten Figuren und einem Brett aus Holz und Perlmutt mitgebracht. Die Namco-G-Con-45-Pistole, die Harry Oleg gekauft hatte, hatte ihr aber leider nicht gefallen. Sie hatte sie augenblicklich beschlagnahmt und ihm erklärt, dass Oleg nicht mit Waffen spielen solle, ehe er nicht mindestens zwölf Jahre alt war. Harry und Oleg hatten das beide etwas betreten und ohne weitere Diskussionen akzeptiert. Aber sie wussten ja, dass Rakel sicher die Gelegenheit wahrnehmen würde, eine Runde zu joggen, wenn Harry auf Oleg aufpasste. Und Oleg hatte Harry zugeflüstert, dass er wisse, wo sie die Namco-G-Con-45-Pistole versteckt hatte.
    Das glühend heiße Wasser der Dusche vertrieb die Kälte aus seinem Körper, während er zu vergessen versuchte, was Ali gesagt hatte. In jedem Fall blieben irgendwelche Zweifel, egal wie klar alles aussah. Und Harry war noch dazu ein geborener Zweifler. Aber irgendwann musste man mit dem Glauben beginnen, wenn das Dasein eine Kontur bekommen sollte, einen Sinn.
    Er trocknete sich ab, rasierte sich und zog ein sauberes Hemd an. Blickte in den Spiegel und lächelte. Oleg hatte gesagt, er habe gelbe Zähne, und Rakel hatte etwas zu laut gelacht. Im Spiegel sah er auch die Überschrift der ersten Mail von C#MN, die noch immer an die gegenüberliegende Wand geheftet war. Morgen würde er sie entfernen und wieder das Bild von Søs und sich aufhängen. Morgen. Er betrachtete die Mail im Spiegel. Merkwürdig, dass ihm das nicht an dem Abend aufgefallen war, an dem er vor dem Spiegel gestanden und das Gefühl gehabt hatte, dass etwas fehlte. Harry und seine kleine Schwester. Wahrscheinlich war so etwas möglich, weil man irgendwie für eine Sache blind wird, wenn man sie so oft gesehen hat. Weil man blind wird. Er betrachtete die Mail im Spiegel. Dann bestellte er ein Taxi, zog sich die Schuhe an und wartete. Sah auf die Uhr. Das Taxi war sicher schon gekommen. Los jetzt. Er bemerkte, dass er den Hörer abgenommen hatte und im Begriff war, eine Nummer zu wählen.
    »Aune?«
    »Kannst du dir bitte die Mails noch einmal ansehen? Und mir sagen, ob du glaubst, dass die von einem Mann oder von einer Frau geschrieben worden sind?«
     

 
     
     

    Kapitel 42 – Dis
     
    Der Schnee schmolz in der folgenden Nacht. Astrid Monsen war gerade aus dem Haus gekommen und ging über den nassen, schwarzen Asphalt in Richtung Bogstadvei, als sie den blonden Polizisten auf der gegenüberliegenden Straßenseite bemerkte. Ihre Schrittfrequenz und ihr Puls steigerten sich abrupt. Sie blickte starr nach vorne und hoffte, dass er sie nicht sah. In den Zeitungen waren Bilder von Alf Gunnerud gewesen, und tagelang waren die Polizisten im Treppenhaus auf und ab gerannt und hatten ihr die Ruhe zum Arbeiten geraubt. Doch jetzt war es vorbei, hatte sie sich selbst gesagt.
    Sie hastete in Richtung Zebrastreifen. Bäcker Hansen. Wenn sie dort ankam, war sie gerettet. Eine Tasse Tee und ein Berliner am hintersten Tischchen des schmalen Cafes. Jeden Tag präzis um halb elf.
    »Tee und Berliner?« »Ja, gerne.« »Das macht dann 38 Kronen.« »Bitte sehr.« »Danke.«
    An den meisten Tagen war das das längste Gespräch, das sie mit jemandem führte.
    In den letzten Wochen war es vorgekommen, dass ein älterer Mann an ihrem Tisch saß, und obgleich es viele freie Tische gab, war dieser Platz der einzige, an dem sie sitzen konnte, weil … nein, sie wollte jetzt nicht daran denken. Wie auch immer, sie hatte sich genötigt gesehen, bereits um Viertel nach zehn zu kommen, um als Erste am Tisch zu sein. Sie dachte, dass das heute ihr Glück war, denn sonst wäre sie bei seinem Kommen zu Hause gewesen und hätte öffnen müssen, denn das hatte sie Mutter versprochen. Nach den zwei Monaten, in denen sie weder auf das Klingeln des Telefons noch auf die Türglocke reagiert hatte und schließlich die Polizei hatte kommen müssen, hatte Mutter ihr damit gedroht, sie wieder einweisen zu lassen.
    Sie log Mutter nicht an.
    Andere ja. Andere log sie die ganze Zeit über an. Bei den Telefonaten mit den Verlagen, in den Boutiquen und den Chat-Seiten im

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