Die Fährte
Lächeln, die gebleichten Barbiepuppenhaare und den gut trainierten Oberklassekörper in Leggings und kurzem Top. Und wenn ihre Brüste gekauft waren, war sie auf jeden Fall klug genug gewesen, nicht mit der Größe zu übertreiben.
»Herr Hole …«
»Kommen Sie herein!«, sagte sie lächelnd und präsentierte nur eine vage Andeutung von Falten an den diskret geschminkten, großen blauen Augen.
Harry trat in eine geräumige Eingangshalle, bevölkert von großen, hässlichen Holztrollen, die ihm bis an die Hüfte reichten.
»Ich bin gerade am Waschen«, erklärte Vigdis Albu, zeigte ihr weißes Lächeln und wischte sich vorsichtig mit einem Finger den Schweiß von den Augen, um nicht ihre Wimperntusche zu verschmieren.
»Dann werde ich meine Schuhe ausziehen«, sagte Harry und dachte noch im gleichen Moment an das Loch am rechten Zeh.
»Nein, Gott bewahre, nicht das Haus. Da kümmern sich zum Glück andere drum«, lachte sie. »Aber meine Kleider wasche ich gerne selbst. Es gibt doch Grenzen, wie weit man Fremden Zutritt zu seinem Leben gewährt, finden Sie nicht auch?«
»Da sagen Sie etwas«, erwiderte Harry und musste sich Mühe geben, um auf der Treppe nicht den Anschluss zu verlieren. Sie gingen an einer gediegenen Küche vorbei und kamen ins Wohnzimmer. Hinter zwei großen Glasschiebetüren lag eine riesige Terrasse. An der Längsseite des Hauses befand sich eine große Backsteinkonstruktion, die wie ein Mittelding zwischen dem Rathaus von Oslo und einem Grabmonument aussah.
»Entworfen von Per Hummel für Arnes 40. Geburtstag«, sagte Vigdis. »Per ist ein Freund von uns.«
»Ja, das ist wirklich ein … ganz besonderer Kamin.«
»Sie kennen doch Per Hummel, den Architekten? Die neue Kapelle am Holmenkollen, wissen Sie?«
»Tut mir Leid«, sagte Harry und reichte ihr die Fotografie. »Ich möchte, dass Sie einen Blick auf dieses Bild werfen.«
Er studierte die zunehmende Überraschung auf ihrem Gesicht.
»Aber das Foto hat doch Arne im vorletzten Jahr gemacht. Wie sind Sie denn daran gekommen?«
Harry wartete mit der Antwort, um zu überprüfen, ob sie diesen aufrichtig fragenden Gesichtsausdruck behalten würde. Sie tat es.
»Wir haben es im Schuh einer Frau namens Anna Bethsen gefunden«, sagte er.
Harry wurde Zeuge einer Kettenreaktion von Gedanken, Schlussfolgerungen und Gefühlen, die sich wie eine Seifenoper im schnellen Vorlauf auf Vigdis Albus Gesicht abzeichneten. Erst Überraschung, dann Verwunderung und schließlich Verärgerung. Dann eine plötzliche Idee, die erst mit einem ungläubigen Lachen abgetan wurde, die ihr aber dennoch nicht aus dem Kopf ging und die schließlich zu einer erschreckenden Erkenntnis heranzureifen schien. Und ganz zum Schluss das plötzlich verschlossene Gesicht mit der Aufschrift: ›Es gibt doch Grenzen, wie weit man Fremden Zutritt zu seinem Leben gewährt, finden Sie nicht auch?‹
Harry fingerte an dem Zigarettenpäckchen herum, das er hervorgeholt hatte.
Ein großer Kristallaschenbecher thronte in der Mitte des Tisches.
»Kennen Sie Anna Bethsen, Frau Albu?«
»Ganz und gar nicht. Sollte ich?«
»Ich weiß nicht«, sagte Harry aufrichtig. »Sie ist tot. Ich frage mich nur, was eine solche Fotografie in ihrem Schuh zu suchen hatte. Irgendeine Idee?«
Vigdis Albu versuchte sich an einem nachsichtigen Lächeln, doch ihr Mund schien ihr nicht gehorchen zu wollen. Schließlich begnügte sie sich damit, energisch den Kopf zu schütteln.
Harry wartete. Ruhig und entspannt. Wie er noch vor kurzem das Versinken der Schuhe im Kies verspürt hatte, spürte er jetzt, wie sein Körper in dem tiefen weißen Sofa versank. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es kein besseres Mittel gab, Menschen zum Sprechen zu bringen, als selber stumm zu bleiben. Wenn sich zwei fremde Menschen gegenübersaßen, wirkte die Stille wie eine Art Vakuum, das die Worte heraussaugte. Zehn unendliche Sekunden saßen sie so da. Vigdis Albu schluckte. »Vielleicht hat es die Putzfrau irgendwo herumliegen sehen und es mitgenommen. Um es dann dieser – Anna hieß sie doch, oder? – zu geben.«
»Hm. Was dagegen, dass ich hier rauche, Frau Albu?«
»Wir möchten nicht, dass hier geraucht wird, weder mein Mann noch ich sind …« Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Und Alexander, unser Jüngster, hat Asthma.«
»Das tut mir Leid. Was macht Ihr Mann?«
Sie starrte ihn an, während ihre großen blauen Augen noch größer wurden.
»Was er arbeitet, meine ich.« Harry
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