Die Fährte
Sarg zu tragen, damit es genug Leute sind. Ist schon O.K., wir sind ja ohnehin nur hier, um auf ihn aufzupassen. Und das werden wir auch weiterhin machen. Auf ihn aufpassen.«
Harry kniff in der scharfen Herbstsonne die Augen zusammen.
Ivarsson wandte sich ihm zu. »Um direkt zu sein, Hole. Niemand darf mit Raskol sprechen, ehe wir mit ihm fertig sind, niemand. Seit drei Jahren versuche ich, mit dem Mann, der alles weiß, ins Gespräch zu kommen. Und jetzt ist es mir gelungen. Das wird mir keiner kaputtmachen, verstehen Sie?«
»Sagen Sie, Ivarsson, wo wir hier schon zu zweit zusammen stehen«, sagte Harry und fischte sich eine Tabakfaser aus dem Mund. »Ist dieser Fall plötzlich zu einem Wettkampf zwischen Ihnen und mir geworden?«
Ivarsson wandte sein Gesicht zur Sonne und lachte glucksend. »Wissen Sie, was ich tun würde, wenn ich Sie wäre?«, sagte er mit geschlossenen Augen.
»Was denn?«, fragte Harry, als die Pause unerträglich lang wurde.
»Ich würde diesen Anzug, den Sie da tragen, in die Reinigung bringen. Sie sehen aus, als hätten Sie in einer Müllkippe gebadet.« Er legte zwei Finger an die Stirn. »Einen schönen Tag noch.«
Harry blieb allein auf der Treppe stehen und rauchte, während er den Zickzackkurs des weißen Sarges über den Bürgersteig verfolgte.
Halvorsen schwang auf seinem Bürostuhl herum, als Harry hereinkam.
»Gut, dass du kommst. Ich habe gute Neuigkeiten. Ich … mein Gott stinkt das!« Halvorsen hielt sich die Nase zu und fragte mit quäkender Stimme: »Was ist denn mit deinem Anzug passiert?«
»Bin in einem Müllcontainer ausgerutscht. Was für Neuigkeiten?«
»Äh … ja, ich dachte mir, dass dieses Bild vielleicht von einer Sommerfrische im Sørland stammen könnte, und habe es deshalb an alle Gemeinden in Aust Agder geschickt. Und ganz richtig, kurz darauf rief mich ein Gemeindemitarbeiter aus Risør an und sagte, er kenne diesen Strand gut. Aber weißt du was?«
»Eigentlich nicht.«
»Der liegt nicht im Sørland, sondern in Larkollen!«
Halvorsen sah Harry mit erwartungsvollem Grinsen an und fügte dann, als Harry nicht reagierte, hinzu: »In Ostfold also. Vor Moss.«
»Ich weiß, wo Larkollen ist, Halvorsen.«
»Ja, aber dieser Mitarbeiter kam aus …«
»Auch Sørländer fahren mal in Urlaub. Hast du in Larkollen angerufen?«
Halvorsen verdrehte entnervt die Augen. »Na klar, ich hab beim Campingplatz angerufen und bei zwei Stellen, wo sie Hütten vermieten. Und dann noch bei den beiden Geschäften, die es dort gibt.«
»Treffer?«
»Yes.« Halvorsen strahlte wieder. »Ich habe das Bild gefaxt, und einer der Einzelhändler wusste genau, wer sie war. Sie haben eine der größten Hütten in der Gegend, er liefert ihnen manchmal Waren.«
»Und die Frau heißt?«
»Vigdis Albu.«
»Komischer Name …«
»Genau, es gibt auch nur zwei in Norwegen und eine der beiden wurde 1909 geboren. Die andere ist 43 Jahre alt und wohnt zusammen mit Arne Albu im Bjørneträkket 12 in Slemdal. Und – Simsalabim – hier ist ihre Telefonnummer, Chef.«
»Nenn mich nicht so«, sagte Harry und griff zum Telefon.
Halvorsen stöhnte: »Was ist los, bist du sauer, oder was?«
»Ja, aber ich sage das nicht deshalb. Møller ist der Chef. Nicht ich, O.K.?«
Halvorsen wollte etwas erwidern, doch Harry streckte abwehrend die Hand in die Höhe: »Frau Albu?«
Es hatte viel Geld, viel Zeit und viel Platz gekostet, um das Haus der Albus zu bauen. Und viel Geschmack. Nach Harrys Ansicht: viel schlechten Geschmack. Es sah aus, als hätte der Architekt, wenn es denn einen solchen gegeben hatte, versucht, norwegische Hüttenromantik mit Südstaatenplantagenstil und einem rosa Entenhausenvorstadtidyll zu vereinen. Harry spürte seine Füße tief im Kies der Auffahrt versinken, die durch einen gepflegten Garten führte, vorbei an Prachtbüschen und einem kleinen Bronzehirsch, der aus einem Springbrunnen trank. Am Giebel über der Doppelgarage hing ein kleines ovales Kupferschild mit einer Flagge, blau mit einem gelben Dreieck.
Hinter dem Haus war wütendes Hundegebell zu hören. Harry stieg die breite Treppe zwischen den Säulen empor, klingelte und erwartete beinahe, dass ihm eine schwarze Mammy mit weißer Schürze öffnete.
»Hi«, zwitscherte es beinahe sofort, nachdem sich die Tür geöffnet hatte. Vigdis Albu sah aus wie einer Fitness-Reklame entsprungen, die Harry manchmal im Fernsehen sah, wenn er nachts spät nach Hause kam. Sie hatte dieses weiße
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