Die Fahrt des Leviathan
dergleichen herumzuplagen.
»Jawohl, Herr Major. Bitte Herrn Major um Verzeihung ersuchen zu dürfen«, entgegnete FliegenderSchwarzer-Adler hastig.
»Schon recht«, brummte Pfeyfer. Er hängte Mütze und Degenkoppel an den Kleiderständer. »Was haben Sie da überhaupt gelesen? Zeigen Sie mal her.«
Der Hauptmann übergab ihm die Zeitschrift. Es handelte sich um die neueste Ausgabe der
National Police Gazette,
eines New Yorker Blattes, das sich auf sensationsheischende und wenig seriöse Berichte über Verbrechen aller Art spezialisiert hatte, je schrecklicher, desto besser.
»Sie könnten in der Auswahl Ihres Lesestoffs durchaus anspruchsvoller sein«, bemerkte Pfeyfer und rümpfte missbilligend die Nase. Schon das Titelblatt, auf dem die Artikel im Inneren marktschreierisch angepriesen wurden, kündete für ihn vom niveaulosen Buhlen um die Aufmerksamkeit eines sensationslüsternen Publikums. Es war sehr amerikanisch.
»Gestatten Herr Major mir darauf hinzuweisen, dass sich auf Seite acht ein Beitrag befindet, welcher das Interesse des Herrn Majors finden könnte?«, fragte der Hauptmann unsicher.
»Das möchte ich bezweifeln«, erwiderte Pfeyfer, schlug aber dennoch die Seite auf, die FliegenderSchwarzer-Adler genannt hatte.
Und was er dort sah, verschlug ihm den Atem.
Das photographische Atelier, das Xavier Toussaint in der Markgraf-Friedrich-Straße führte, war ein typischer Vertreter seiner Gattung. An den hinteren Wänden aufgereiht standen kunstvoll auf Leinwand gemalte Kulissen, die sowohl Innenräume als auch Landschaften darstellten und als Hintergründe für photographische Aufnahmen dienten. Eine reichhaltige Auswahl an Pappmachésäulen, Tischchen, Vasen und Stühlen stellte sicher, dass für jedes Arrangement die passenden Requisiten zur Verfügung standen. Im Zentrum befand sich das am häufigsten benötigte Objekt, ein Sessel mit zweckdienlich angebrachter Kopfstütze, die es den Porträtierten erleichterte, ohne Bewegungen die lange Belichtungszeit durchzustehen.
Die gerahmten Bildnisse starr nach vorne blickender Männer, Frauen und Gruppen von der Hochzeitsgesellschaft bis zur Feuerwehrkompanie, in kalten Grautönen, warmem bräunlichen Sepia oder auch farbenfroh von Hand koloriert, standen sorgfältig ausgerichtet in Regalen und gaben Kunde vom Können ihres Urhebers. Aus der einen Spalt weit geöffneten Tür zum Nebenraum drang ein leichter Geruch von Chemikalien und verbreitete sich unaufdringlich im gesamten Atelier.
Xavier Toussaint, der den künstlerischen Charakter seiner Profession durch parfümiertes, in Locken gelegtes Haar und eine gewaltig aufgebauschte Spitzenkrawatte unterstrich, platzierte gerade gewissenhaft eine Bodenvase mit Trockenblumen auf einem mit täuschend echtem Marmordekor bemalten Holzpodest, als Pfeyfer eintrat. Sobald er des vermeintlichen Kunden ansichtig wurde, ließ Toussaint unverzüglich von seiner bisherigen Betätigung ab, kam tänzelnden Schrittes herangeeilt und erkundigte sich überaus beflissen: »Ich darf mir erlauben, Sie willkommen zu heißen. Womit kann ich dem Herrn Major dienlich sein?«
»Damit«, entgegnete Pfeyfer knapp und drückte dem Photographen die
National Police Gazette
in die Hand.
Toussaint erbleichte.
Auf der aufgeschlagenen Seite prangte unter der in schreiend großen Lettern gedruckten Überschrift
A Bloody Prussian Night
ein großer Holzstich, der in allen Details das grauenvolle Szenario im Lagerhaus wiedergab. Die am Boden liegenden Leichen Heinzes und Weavers waren ebenso naturgetreu dargestellt wie der Ort des Geschehens selbst.
Der totenblasse Toussaint stierte entgeistert auf das Bild. »Oh nein – nein, die wollten es doch anonym veröffentlichen«, stammelte er.
»Haben sie auch. Fast jedenfalls«, meine Pfeyfer und legte den Finger auf einen unauffälligen kleinen Vermerk am unteren Rand der Abbildung.
After an original photograph by Herr X. T.
»Es ist nicht übermäßig schwer, einen Friedrichsburger Photographen mit solchen Initialen zu identifizieren«, erklärte der Major seinem nunmehr vor Angst schlotternden Gegenüber und sah ihm dabei in die Augen wie ein Raubtier, das seine vor Furcht gelähmte Beute fixiert.
»Was – was verlangen Sie?«, krächzte Toussaint jämmerlich.
Mit einem blitzschnellen Griff packte Pfeyfer den Photographen am breiten Revers seines Fracks. »Die Platte und sämtliche Abzüge, die du Hundsfott noch hast. Sofort!«, verlangte er finster drohend. »Und wenn du nicht
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