Die Fahrt des Leviathan
Anschlag bekommen und Untersuchungen eingeleitet, in der vagen Aussicht, dass der Attentäter eventuell in Verbindung zu preußenfeindlichen Kreisen stand, vielleicht sogar zu den Männern, die für Heinzes Tod verantwortlich waren. Bestätigt hatte sich bisher nichts davon. Und auch der schwachen Hoffnung, Rebekka Heinrich würde aus dem Gott sei Dank misslungenen Anschlag eine Lehre ziehen und sich künftig zurückhalten, mochte er sich nicht hingeben.
»Ein höchst bedauerlicher Zwischenfall, den ich mit Abscheu zur Kenntnis nahm, Hoheit«, gab Pfeyfer zu verstehen. Er war darin völlig aufrichtig. Gemeiner Meuchelmord widersprach dem Kanon seiner Werte so eklatant, dass er puren Ekel empfand.
»Vor allem ein Zwischenfall, der sich nicht wiederholen soll«, forderte der Kronprinz. »Um einen weiteren Anschlag auszuschließen, wünsche ich, dass Sie hinfort für den Schutz von Demoiselle Heinrich sorgen, wenn sie öffentlich spricht.«
Ein widerstrebendes Zucken durchfuhr Pfeyfer. Nun sollte er auch noch gewährleisten, dass sich die aufsässige Schuldirektorin bei ihren skandalösen Auftritten sicher fühlen konnte. Aber Befehl war Befehl. Ihm blieb nichts übrig, als gehorsam zu bestätigen: »Sehr wohl, Hoheit. Ich werde zu jedem Anlass einen zuverlässigen Mann abstellen, der auf das Fräulein Direktorin achtgibt.«
»Ich denke, ich sollte meine diesbezüglichen Vorstellungen etwas präzisieren«, führte Prinz Friedrich weiter aus. »Niemand in Karolina ist eine eindrucksvollere Verkörperung von Autorität, niemand ist verlässlicher als Sie, Major. Es ist daher mein Wunsch, dass Sie persönlich Demoiselle Heinrich beschützen.«
Pfeyfer war, als träfe ihn ein Blitz.
* * *
Rebekka Heinrichs Dienstwohnung war geradezu absurd geräumig. Zahl und Ausmaß der Zimmer standen in keinem Verhältnis zu den Bedürfnissen einer allein lebenden Person, selbst wenn man in Betracht zog, dass die Leiterin einer höheren Lehranstalt unbestreitbar eine ihrem Rang angemessene Unterkunft benötigte. Das Ministerium der geistlichen-, Unterrichts-und Medizinalangelegenheiten hatte die Töchterschule der Einfachheit halber nach den Bauvorgaben errichten lassen, die für Gymnasien galten. Natürlich war man bei der Erstellung dieser vereinheitlichten Pläne davon ausgegangen, dass die Lehrer und insbesondere die Direktoren Familien haben würden, und hatte entsprechend geräumige Wohnungen vorgesehen. Die gezwungenermaßen alleinstehenden Lehrerinnen verfügten daher über grotesk viel Raum.
Zumeist war das Überangebot an Zimmern eher lästig, an manchen Tagen aber kam den Lehrerinnen dieser Umstand doch zupass. So etwa an diesem Abend, denn Rebekkas Wohnung konnte die vielen Gäste, die sie zur Feier ihrer fünfzehn Jahre zurückliegenden Examinierung eingeladen hatte, mühelos aufnehmen, ohne dass irgendwo ein Gefühl der Beengtheit aufkam.
Durch die einen schmalen Spalt weit geöffnete Küchentür warf Rebekka einen Blick in das Speisezimmer, in dem gut zwei Dutzend Frauen und Männer in dezenter Abendgarderobe in kleinen Gruppen beisammenstanden und sich gut gelaunt unterhielten. Gerda, das flachsblonde und ganzjährig sommersprossige Hausmädchen der Direktorin, balancierte geschickt ein Tablett voller Sektgläser zwischen den Anwesenden umher. Durch die zum Garten führenden, offen stehenden Glastüren, wehte in dieser für Anfang Dezember noch einmal ungewöhnlich schwülen Nacht gelegentlich ein erfrischender Windhauch und trug den Geruch des erst am Vormittag geschnittenen Rasens mit sich.
Rundum zufrieden mit dem bisherigen Verlauf des Abends schloss Rebekka die Tür und wandte sich wieder Carmen Dallmeyer und Amalie von Rheine zu, die sich in der Küche zu ihr gesellt hatten.
»So wünsche ich mir das«, verkündete sie in gehobener Laune. »Alle meine Gäste sind guter Dinge.«
»Selbst dieser Alvin Healey?«, wunderte sich Carmen, die damit beschäftigt war, den widerspenstigen Drahtbügel vom Korken einer Champagnerflasche zu entfernen. Ihre Frage kam nicht von ungefähr; sie hatte zuvor die Befürchtung geäußert, der Südstaatler könnte sich als ungeselliger Stimmungstöter erweisen. Was sie bis dahin von ihren beiden Kolleginnen über sein verkrampftes und linkisches Auftreten gehört hatte, ließ ihr Healey nicht als den idealen Gast bei einer zwanglosen Gesellschaft in gelöster Atmosphäre erscheinen.
»Selbst Healey«, betonte Rebekka. »Sie sehen, Ihre Zweifel waren ganz
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