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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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doch an«, glaubte er sich zu entsinnen.
    »Ja, so zeigt es auch die Photographie«, bestätigte der Doktor. Er legte die Aufnahme auf den Tisch und bat den Offizier, sich selbst davon zu überzeugen.
    Der Major trat heran und warf einen oberflächlichen Blick auf das Bild. Gestochen scharf und unübersehbar war die Waffe in Weavers rechter Hand erkennbar.
    »Und was finden Sie daran so bemerkenswert?«, wollte der etwas irritiert wirkende Pfeyfer wissen.
    »Weaver war Linkshänder«, eröffnete ihm der Arzt. »Das habe ich von seinem Bruder erfahren.«
    »Donnerwetter! Kein Wunder, dass er auf so kurzem Abstand nicht getroffen hat, wenn er mit seiner ungeübten Hand schoss. Das erschwerte die Handhabung der Waffe ungemein. Aber wieso bloß hielt er den Revolver wider alle Vernunft mit rechts?«
    Täubrich kratzte sich ratlos am Kinn. »Das wüsste ich auch gerne. Es sieht ganz so aus, als hätte sich ein weiteres Rätsel aufgetan.«
    Just in diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Doktor Täubrich bat einzutreten; ein tiefschwarzer Sergeant kam in den Raum, nahm Haltung an und meldete: »Bitte Herrn Major die Störung vergeben zu wollen. Seine Hoheit beordert den Herrn Major sogleich zu sich.«
     
    Pfeyfer hastete den Boulevard entlang. Ohne sein Tempo zu drosseln, wich er verwundert dreinblickenden Passanten aus und nutzte jede Lücke, die sich zwischen den Menschen auf dem Trottoir auftat. Um keinen Preis wollte er den Kronprinzen auch nur eine Sekunde länger warten lassen, als es durch die Umstände unvermeidlich war. Zwar war er sich bewusst, dass ein rennender Offizier kein sonderlich standesgemäßes Bild abgab; doch wenn der Thronfolger rief, mussten solche Empfindlichkeiten zurückstehen.
    Er fragte sich, aus welchem Grunde Prinz Friedrich ihn wohl so dringend sprechen wollte. Ob es vielleicht etwas mit den jüngsten Fällen von Brandstiftung zu tun hatte? In den letzten Nächten waren ja erneut mehrere Dutzend Ballen eingeschmuggelter Baumwolle in Flammen aufgegangen. Nahm der Kronprinz vielleicht Anstoß daran, dass es noch immer keinen Hinweis auf die Identität des Mannes gab, der nicht müde wurde, Feuer an das Eigentum der Plantagenbesitzer zu legen? Doch diese Möglichkeit verwarf Pfeyfer fast augenblicklich wieder. Er hielt es kaum für wahrscheinlich, dass sich der Prinz für die finanziellen Einbußen einiger Sklavenhalter interessierte.
    Ein wenig außer Atem erreichte er den Prinzenplatz und hielt kurz inne, um Luft zu holen und sein Äußeres zu ordnen. Rasch zog er Waffenrock und Koppel zurecht, richtete den Sitz der Mütze und ging dann auf das dreistöckige Palais Rogalski zu. Der Kronprinz hatte seine provisorische Residenz im Hôtel Borussia erst wenige Tage zuvor verlassen und das zurückhaltend elegante weiße Gebäude an der Südostecke des Platzes bezogen.
    Der Doppelposten vor dem Eingang, ein weißer Füsilier vom 1. Karolinischen InfanterieRegiment und ein Schwarzer im grünen Rock des Karolinischen Jägerbataillons, präsentierten das Gewehr, als der Major das Portal passierte. Der Geruch von frischer Farbe umfing ihn, kaum dass er die Schwelle überschritten hatte.
     
    »Ich bemerke eine gewisse Tendenz zur Unruhe, welche sich in der Provinz auszubreiten scheint«, stellte der Kronprinz besorgt fest.
    »Vereinzelt bricht sich der Unmut einiger Menschen über die gegenwärtigen Lebensumstände Bahn«, gab Pfeyfer zu, ergänzte aber sofort: »Ich denke jedoch, dass keine allgemeine Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der Sicherheit zu befürchten ist, Hoheit.«
    Kronprinz Friedrich und Major Pfeyfer saßen sich an dem ovalen Tisch gegenüber, der im Zentrum der kleinen Bibliothek stand, auf allen Seiten umgeben von Bücherregalen, die bis hinauf an die Decke reichten. Zwei Stapel von Büchern über die Geschichte und den Charakter Karolinas bezeugten durch die vielen Lesezeichen, die zwischen ihren Seiten steckten, dass der Thronfolger seine Aufgabe als Gouverneur ernst nahm und sich intensiv mit der Landeskunde beschäftigte.
    »Sie sind gewiss im Recht, wenn Sie die Ordnung im Ganzen nicht gefährdet wähnen«, hielt der Kronprinz entgegen. »Was mir aber Bedenken bereitet, ist der Einzelfall. So erhielt ich etwa heute Morgen Meldung über ein äußerst prekäres Vorkommnis, einen Mordversuch, der sich gestern Abend bei einer politischen Versammlung zutrug.«
    Pfeyfer wusste sehr genau, wovon die Rede war. Er hatte einige Stunden zuvor schon einen Bericht über den

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