Die Fahrt des Leviathan
objektiv in meinen Vorlieben«, antwortete der Doktor. »Ich würde von diesem Reisgericht dort versuchen. Aber vorwiegend deshalb, weil ich weiß, dass Fräulein Amalie es zubereitet hat.«
Healeys Lächeln verschwand für einen Moment, kaum länger als ein Lidschlag, um sogleich wieder zurückzukehren, nur ein wenig bemühter als zuvor. »Dann werde ich natürlich auch davon probieren«, entschied er und begann seinen Teller zu füllen.
»Major Pfeyfer?«, wiederholte Rebekka ungläubig.
Gerda nickte. »Ja, gnädiges Fräulein. Der Herr Major wünscht Sie zu sprechen. Soll ich ihn in Ihr Arbeitszimmer bitten?«
Die Direktorin überlegte kurz und befand dann: »Nein. Ich muss mich um meine Gäste kümmern. Führen Sie ihn in den Salon, ich erwarte ihn dort.«
Das Hausmädchen bestätigte die Anweisung und machte sich auf den Weg. Rebekka blickte fragend auf Amalie und Carmen, die aber auch nur mit Schulterzucken reagieren konnten. Keine der Frauen vermochte sich zu erklären, was den Major veranlasste, seine Erzrivalin zu dieser Zeit aufzusuchen. Rebekka sah ein, dass es sinnlos war, über den Anlass dieses Besuchs zu spekulieren.
»Gehen wir nach nebenan«, meinte sie. »Ich werde noch früh genug erfahren, was dieser aufdringliche Offizier nun schon wieder will.«
Die drei Frauen betraten den Salon, wo Amalie sofort Doktor Täubrich erspähte.
»Ich hätte wetten können, dass ich ihn am Buffet finde«, kommentierte sie schmunzelnd. »Sie verzeihen mir sicher? Ich bin doch zu neugierig, was er gerade so intensiv mit Herrn Healey zu bereden hat.«
»Natürlich, meine Liebe. Mit Pfeyfer werden Carmen und ich schon alleine fertig, was immer er auch will«, versicherte Rebekka.
Amalie dankte und ging hinüber zum Buffet. Beide Männer bemerkten sie gleichzeitig, und sie registrierte mit Freude, dass Healey im Begriff war, sich den Teller mit einer erklecklichen Portion ihrer Reispfanne zu füllen.
Von Gerda in den Salon geleitet, trat Pfeyfer vor Rebekka und Carmen, schlug leicht die Hacken zusammen und neigte militärisch knapp den Kopf zu einer steif vorgebrachten Verbeugung. »Hochgeehrtes Fräulein Heinrich, geehrtes Fräulein Dallmeyer. Ich danke Ihnen, dass Sie mich zu so später Stunde noch empfangen.«
»Sie haben Glück, wir wollten gerade zu Bett gehen«, entgegnete Rebekka ironisch.
Pfeyfer konnte gar nicht anders, als zur Kenntnis nehmen, dass die Schuldirektorin sich über ihn lustig machte; zu offensichtlich führte die Anwesenheit der vielen festlich gekleideten Gäste ihre Behauptung ad absurdum.
»Äußerst amüsant«, bemerkte er gezwungen. »Wenn Sie gestatten, würde ich gerne mit Ihnen alleine sein.«
Rebekka setzte ein neckisches Grinsen auf. »Oh, Herr Major! Ich muss doch sehr bitten! Sie bringen mich in Verlegenheit.«
Um sich vom Lachen abzuhalten, kniff Carmen Dallmeyer die Lippen fest zusammen. Eine erste Andeutung von gequälter Verzweiflung legte sich über Pfeyfers Züge.
»Haben Sie schon von dieser interessanten Sauce gekostet, Herr Healey?«, erkundigte sich Amalie und wies auf ein kleines rotes Fläschchen, das zwischen den Kristallglasstreuern für Salz und Pfeffer stand.
»Noch nicht«, gestand Healey. »Worum handelt es sich?«
»Eine Würzsauce aus Mexiko, auf die ich durch Doktor Täubrich aufmerksam wurde. Sie ist mit nichts zu vergleichen, was ich kenne.«
»Aber auch mit Vorsicht zu genießen«, warnte Täubrich. »Diese Chilisauce ist extrem pikant. Ich nehme immer nur wenige Tropfen.«
Healey merkte auf. Er sah eine exzellente Chance, Täubrich als Memme zu blamieren und zugleich sich selbst hervorzutun. Beherzt nahm er die Flasche und schüttete zum Erstaunen der Lehrerin und des Arztes reichlich von der roten Würze auf sein Essen.
»Sie trauen sich eine Menge zu«, staunte Amalie.
»Oh, das ist eine Kleinigkeit für mich«, behauptete Healey selbstgewiss. Er stellte die Flasche zurück, versenkte die Gabel im Reis und führte einen großen Happen in seinen Mund.
Schlagartig merkte er, dass er eine Riesendummheit begangen hatte.
Seine Zunge, seine gesamte Mundhöhle brannten wie mit glühenden Eisen gefüllt. Das Feuer schoss tief in seinen Rachen, in Nase und Augen, erfasste den ganzen Kopf. Healey riss Täubrich das Glas aus der Hand und stürzte die Flüssigkeit hinunter. Der Rum richtete nichts gegen das lodernde Inferno in seiner Mundhöhle aus, linderte noch nicht einmal den Höllenschmerz. Mit weit aufgerissenen Augen, aus denen
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