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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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unbegründet, Carmen.« Dabei waren anfangs durchaus Bedenken angebracht gewesen. Als Rebekka ihn darauf angesprochen hatte, dass am Tag zuvor eine erstaunlich große Lieferung von Baumwolle eingetroffen und zum Lagerhaus der Richmond-Handelsgesellschaft gebracht worden war, hatte er ihr niedergedrückt zu verstehen gegeben, dass sie in dieser Hinsicht besser im Bilde war als er selbst. Charles Beaulieu , so sein Lamento, hätte alles an sich gerissen, hielt ihn von sämtlichen Vorgängen fern und hatte ihm sogar untersagt, das Lagerhaus aufzusuchen. Rebekka hatte fest damit gerechnet, dass Healey jeden Augenblick in Trübsal verfallen und damit die Atmosphäre beeinträchtigen würde. Zu ihrer Erleichterung hatte er sich aber schnell wieder gefangen.
    Amalie reihte zwischen den Tabletts mit vorbereiteten Canapés drei Sektgläser nebeneinander auf und meinte dabei: »Ich habe Herrn Healey vorhin auch schon beobachtet. Er scheint sich tatsächlich recht gut zu amüsieren. Jedoch …«
    »Jedoch was?«, hakte Rebekka nach, als Amalie nicht weitersprach.
    Die Lehrerin wiegte unschlüssig den Kopf. »Nennen Sie es meinetwegen pure Einbildung, erwachsen aus einem Übermaß sogenannter weiblicher Empfindsamkeit – für mich aber hat sein Frohsinn etwas Herzzerreißendes. Er kommt mir vor, als würde er …«
    Sie pausierte und forschte in den Gesichtern Rebekkas und Carmens, ob ihre Worte nicht vielleicht durch einen unglücklich gewählten Ton einen lächerlichen Eindruck machten. Dann erst fuhr sie fort: »Er wirkt auf mich, als würde er verzweifelt vorgeben, vergnügt zu sein. Sehr verzweifelt.«
    »Warum sollte er sich der Mühe einer solchen Täuschung unterziehen?«, fragte Carmen stirnrunzelnd, wobei sie nunmehr dem Korken der Flasche beizukommen versuchte.
    Amalie hob ratlos die Schultern. »Ich weiß es nicht. Doch der Gedanke ist –«
    Ein lauter Knall fuhr ihr mitten in den Satz. In hohem Bogen flog der Sektkorken rasant durch die Luft, prallte an der Decke ab und landete geradewegs in Rebekkas Dekolleté. Die drei Frauen konnten sich vor Lachen kaum halten, alle Grübeleien über Healeys Seelenverfassung waren vergessen.
    Um Luft ringend fischte die Direktorin den verirrten Korken hervor. Carmen benötigte eine Weile, um ihr Lachen in den Griff zu bekommen. Als sie endlich wieder eine halbwegs ruhige Hand hatte, schenkte sie schwungvoll den schäumenden Champagner ein. Jede der drei nahm sich ein Glas. Sie stießen an und versicherten sich, wie es ihrer Gewohnheit entsprach, auf das zu trinken, was sie am meisten liebten, nämlich sich selbst.
    Gerade hatten sie die Gläser an die Lippen geführt, als das Schellen der Türglocke ertönte. Rebekka horchte auf. Äußerlich gab sie sich, als hätte sie den Schock des vergangenen Abends längst mit Leichtigkeit überwunden, tatsächlich aber reagierte sie noch immer unterschwellig alarmiert auf unerwartete Geschehnisse. Und das Läuten kam unerwartet. Ihre Gäste waren vollzählig anwesend. Wer also mochte um diese Zeit Einlass verlangen?
    »Wir werden sicher schon vermisst. Gehen wir zurück nach nebenan«, schlug sie vor. Eine warnende Angst, derer sie selbst sich gar nicht bewusst war, diktierte ihr die Worte. Sie spürte einfach, dass sie sich unter Menschen sicherer fühlen würde, falls ungebetener Besuch erschien.
     
    Doktor Täubrich hatte erstklassigen karibischen Rum ausfindig gemacht. Mit einem frisch gefüllten Glas in der Hand ging er durch die Räume, erwiderte hier und dort die Grüße von Gästen, die ihm bereits als Patienten vertraut waren, und hielt Ausschau nach Amalie von Rheine. Zwar fand er sie nicht, doch entdeckte er im Salon Alvin Healey, der mit einem leeren Teller in der Hand vor einem Buffet voller Speisen stand und augenscheinlich Schwierigkeiten hatte, sich für etwas zu entscheiden. Täubrich beschloss, dem überfordert dreinblickenden Südstaatler helfend unter die Arme zu greifen, und gesellte sich zu ihm.
    »Ich sehe, Ihnen fällt die Wahl schwer, Herr Healey. Aber das ist ja kein Wunder, wenn alles so verlockend aussieht«, sagte er mit erkennbarem Entzücken über die appetitlich arrangierte Auswahl typisch karolinischer Gerichte.
    »Was würden Sie denn nehmen?«, erkundigte sich Healey. Sein Lächeln wirkte etwas angespannt, was Täubrich darauf zurückführte, dass sich der seines Erachtens wohl recht einzelgängerische Südstaatler in der geselligen Umgebung ein wenig unsicher vorkam.
    »Oh, da bin ich vermutlich nicht

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