Die Fahrt des Leviathan
Ströme von Tränen quollen, japste Healey nach Luft, ruderte panisch mit den Armen, krächzte und keuchte.Noch einmal entfuhr ihm ein heiseres Gurgeln. Im nächsten Moment wankte er und fiel vornüber auf den Tisch, wo er bewusstlos mit dem Gesicht nach unten liegenblieb.
Geistesgegenwärtig hob Doktor Täubrich sofort Healeys Kopf aus der Schale mit Geflügelsalat, um ihn vor dem Ersticken zu bewahren. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Ohnmächtige regelmäßig atmete, bat er den herbeigeeilten Major Pfeyfer, ihm behilflich zu sein. Gemeinsam wuchteten sie Healey auf, nahmen seine Arme über die Schultern und schleppten ihn unter den bestürzten Blicken der Anwesenden aus dem Salon.
Mit Healeys beflecktem Frack über dem Arm kam Täubrich aus dem Gästezimmer und schloss behutsam die Tür hinter sich, damit sie nicht krachend zufiel; immerhin stand das Fenster am Ende des Flurs offen und sorgte für Durchzug.
»Es geht ihm so weit gut, denke ich. Aber er wird wohl für die nächsten Stunden schlafen wie ein Toter«, teilte er den besorgt wartenden Lehrerinnen und Major Pfeyfer mit.
»Und wenn er aufwacht, wird er einen so grausamen Kater haben, dass er sich erst einmal wünscht, er wäre wirklich tot«, spekulierte Amalie. Ihre mitfühlende Miene verriet, dass sie wusste, wovon sie sprach.
Ein Schmunzeln flog über das Gesicht des Arztes. »Gut möglich. Meine Güte, eine dermaßen massive Reaktion auf Alkohol erlebt man nicht alle Tage. Ich würde zu gerne eine Abhandlung darüber für die
Münchner Medizinische Wochenschrift
verfassen.«
»Hüten Sie sich!«, versetzte Carmen Dallmeyer empört. »Der Ärmste ist nicht Ihr Versuchskaninchen.«
Rebekka ließ sich von Täubrich den Frack geben und nahm die Spuren der Speisen in Augenschein. »Das sieht böse aus«, befand sie kopfschüttelnd. »Solche Flecken muss man rasch behandeln. Ich kümmere mich gleich selbst darum, nachdem ich mich von meinen Gästen verabschiedet habe.«
»Ich möchte gerne auch noch einige Worte mit Ihnen wechseln«, rief Pfeyfer der Direktorin den Grund seines Erscheinens in Erinnerung.
»Wenn es Sie nicht stört, dass ich nebenher Flecken ausreibe, und Sie sich mit der Küche als Ort unseres Gesprächs begnügen können, steht dem nichts im Wege«, entgegnete Rebekka süßlich zuvorkommend. Zugleich leerte sie die Taschen des Fracks und brachte neben einer abgestoßenen Brieftasche und einem Schlüsselbund auch einen großen, auffallend kunstvoll gearbeiteten Schüssel zum Vorschein, den sie verwundert in der Hand drehte und von allen Seiten besah.
»Geschmacklos, aber teuer«, kommentierte Carmen. »Ich frage mich, wieso ausgerechnet Herr Healey so etwas bei sich trägt. Das da sieht aus, als würde es die Tür zur Villa eines protzenden Nouveau-Riche öffnen.«
Major Pfeyfer, der keine Lust verspürte, endlosen Mutmaßungen über den Bestimmungszweck des Schlüssels beizuwohnen, klärte sie knapp auf: »Er gehört zum Lagerhaus der Richmond-Handelsgesellschaft. Demoiselle Heinrich, wenn ich nun bitten dürfte …«
»Hetzen Sie mich nicht, Major. Das zeugt nicht von guter Kinderstube«, wies die Direktorin ihn zurecht. Sie legte den Frack über einer Stuhllehne ab und ging hinüber in ihr Arbeitszimmer. Durch die offene Tür konnte Pfeyfer ungeduldig verfolgen, wie sie sich viel Zeit nahm, einen geeigneten Platz für Healeys Habseligkeiten zu finden, und sie schließlich auf ihrem Schreibtisch deponierte, mit dem Schlüssel zuoberst. Dem Major war klar, dass sie seine Geduld bewusst auf die Probe stellte. Doch konnte er sich dagegen nicht zur Wehr setzen.
Sie wusste um ihren Vorteil, hier auf ihrem eigenem Terrain nach eigenen Regeln kämpfen zu können, und nutzte diesen Umstand ohne Skrupel aus.
Und an diese Frau bin ich nun gekettet,
stöhnte er in Gedanken auf.
Welche Sünde habe ich begangen, dass Gott mich so straft?
Rebekka ließ die Bürste sinken und starrte Pfeyfer mit großen Augen an. Was der Major ihr mitgeteilt hatte, erstaunte sie so sehr, dass sie für einige Sekunden zu keiner Reaktion im Stande war.
Dann begann sie zu lachen.
»Das ist ja ein unglaublicher Treppenwitz«, platzte sie heraus. »Der Kronprinz hat
Ihnen
befohlen, mich zu beschützen?«
»Seine Hoheit geruhte das zu tun«, brummte Pfeyfer einsilbig. »Ab sofort obliegt es mir, dafür Sorge zu tragen, dass Sie Ihre Ansichten ohne Gefährdung Ihrer Person frei äußern können.«
Abermals lachte Rebekka, diesmal
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