Die Fahrt des Leviathan
verursacht hatte. Der Amerikaner verbeugte sich und verließ wie ihm geheißen das Arbeitszimmer.
Im Vorzimmer brachte ein Lakai Zylinder und Gehstock; aufgebracht riss der Konsul ihm beides aus den Händen. Wortlos stampfte er aus dem Raum und mit schnellen Schritten die Treppen hinab.
Er würde schon dafür sorgen, dass die Konföderation keinen Nutzen aus der
Great Eastern
zog. Dafür benötigte er die Hilfe der Preußen überhaupt nicht. Ihm standen andere Mittel zur Verfügung.
* * *
Die Stadt war noch immer ein Tollhaus. Ein ständiger Strom von Menschen bewegte sich die Straßen zur Bucht hinab, jeder wollte das monströse Schiff sehen. Mittlerweile hatten Telegraphenmeldungen die Neuigkeit überall verbreitet, es trafen zu Pferd und in vollbesetzten Kutschen Schaulustige aus dem Umland und dank der Eisenbahn sogar aus weiter entfernten Teilen der Provinz ein.
So groß war zeitweise das Gedränge, dass es in der Unterstadt kaum noch ein Vorankommen gab.
Diese Schwierigkeiten hatten Rebekka Heinrich und Amalie von Rheine nicht davon abgehalten, sich an diesem Vormittag zum Handelsgericht zu begeben. Während Amalie vor dem Portal des Gebäudes im Einspänner wartete, ging sie die Mittagsausgaben der Zeitungen durch, die sie unterwegs bei Zeitungsjungen gekauft hatten. In allen war die sensationelle Ankunft der
Great Eastern
das beherrschende Thema, neben dem sämtliche anderen Meldungen verblassten. Selbst die Nachrichten über eine furchtbar blutige Niederlage der Unionsarmee im nördlichen Virginia traten darüber in den Hintergrund.
Rebekka kam aus dem Gerichtsgebäude, drängte sich resolut durch die Menschenmassen auf dem überfüllten Trottoir und stieg zu Amalie auf den Kutschbock. »Unsere Vermutungen waren richtig. Es ist tatsächlich etwas faul«, berichtete sie. »Das Schiff wurde noch gestern am späten Nachmittag für die Victoria-Reederei registriert. Die wiederum wurde erst jüngst gegründet und gehört zur Richmond-Handelsgesellschaft. Damit befindet sich die
Great Eastern
im Besitz der Konföderation.«
»Sie werden überrascht sein, aber daraus wird nicht einmal ein Geheimnis gemacht«, meinte Amalie, reichte der Direktorin eine der Zeitungen und deutete mit dem Zeigefinger auf einen Absatz des großen Artikels, der die gesamte Titelseite in Beschlag nahm.
Es ertheilte uns Mr. Charles
Beaulieu vom Directorium der Richmond=Handels=Gesellschaft, deren Eigenthum die Great=Eastern nunmehr ist, die Auskunft, das Schiff sei zum Behufe der ungehinderten einmaligen Verbringung einer beträchtlichen Menge Baumwolle nach Europa erworben worden. Daselbst soll aus dem Erlöse Getreide erstanden werden, welches die Nöthe der darbenden Civil=Bevölkerung in gewissen Gebieten der Conföderation zu lindern bestimmt sei.
Rebekka stieß unwillkürlich ein höhnisches Lachen aus: »Ha! Getreide für die Bevölkerung! Dass sich die Südstaaten in ihrer gegenwärtigen Situation einen solchen Luxus leisten können, soll er anderen weismachen.«
»Ich verwette meine besten Seidenstrümpfe, dass die
Great Eastern
in Wahrheit vollgestopft mit Kriegsmaterial zurückkehren soll«, mutmaßte Amalie. »Ganz bequem unter preußischer Flagge, vor den Augen der zu tatenlosem Zuschauen verdammten Unionsmarine. Aber sagen Sie … Charles Beaulieu , das ist doch der Mann, über dessen Gehabe sich auch Herr Healey so beklagt hat.«
Während die Direktorin mit angewidert gekräuselten Mundwinkeln den Rest des Zeitungsartikels überflog, nickte sie bestätigend. »Und der Mann, gegen den mich Major Pfeyfer auf dem Bahnhof verteidigt hat. Healey sprach ihn ja mit Namen an. Ich hatte aber schon zuvor des Öfteren von ihm gehört. Ein sehr einflussreicher Südstaatler, der seinen Hass auf Preußen bei jeder Gelegenheit unverhohlen zum Ausdruck bringt. Ich konnte mir bislang nicht erklären, weshalb er nach Karolina gekommen ist und persönlich die Fäden einer absolut bedeutungslosen Handelsfirma in die Hände genommen hat. Jetzt sehe ich, dass hier etwas von langer Hand geplant wurde.«
»Wir müssen mehr in Erfahrung bringen. Vielleicht von Herrn Healey?«, schlug Amalie vor.
»Ich nehme an, der gute Healey weiß über die wahren Hintergründe dieser Dinge auch nicht mehr als wir«, meinte Rebekka schulterzuckend. »Doch einen Versuch ist es allemal wert. Selbst scheinbar Nebensächliches könnte sich als aufschlussreich erweisen.«
Sie nahm die Zügel in die Hände und veranlasste das Pferd durch ein
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