Die Fahrt des Leviathan
Hafenarbeiter?«
Mit einem Gesichtsausdruck, der boshaftes Vergnügen verriet, zwirbelte Beaulieu eine seiner Bartspitzen zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ganz wie erwartet. Es hat sich bei ihnen schnell herumgesprochen, wem die
Great Eastern
gehört. Doch nur eine Handvoll Querulanten verweigert die Arbeit. Die meisten der Nigger fügen sich zähneknirschend. Sie brauchen das Geld zu dringend.«
»Und solange sie denken, das Schiff solle nur Getreide oder Mehl für unsere Frauen und Kinder holen, werden sie auch nicht aufmucken«, ergänzte Weaver.
Der Oberst rückte sich die Brille zurecht und bemerkte mahnend: »Das will ich auch nicht hoffen. Jegliche Verzögerung könnte fatale Auswirkungen zeitigen. Und wo wir gerade bei diesem Thema sind … Die
Great Eastern
verfügt, so sagte man mir, über acht Dampfkräne, die bei pausenlosem Betrieb binnen eines Tages fünftausend Tonnen Fracht an Bord zu hieven vermögen. Doch das nützt uns nichts, wenn die Baumwolle nur gemächlich eintrifft. Vier Zugladungen pro Tag stellen das Minimum dar, wenn wir nicht gar zu viel Zeit vergeuden wollen.«
»Wozu diese Eile?«, fragte Beaulieu verständnislos. »Lees Nordvirginia-Armee wird doch ohnehin erst im Frühjahr oder Sommer zur entscheidenden Offensive antreten können. Notfalls haben wir drei, vier Monate, um die Waffen herbeizuschaffen.«
Kolowrath stieß ein mokantes Schnauben durch die Nase aus. »Wenn Sie beide dieser Ansicht sind, Gentlemen, dann erliegen Sie einer Täuschung. Wir stehen unter erheblichem Zeitdruck«, belehrte er seine Gäste. »Von Gewährsleuten in Berlin erhielt ich verlässliche Meldungen, denen zufolge der erzkonservative Ministerpräsident Bismarck besorgt ist, Kronprinz Friedrich könnte durch seine Stellung als hiesiger Gouverneur an Ansehen und Einfluss gewinnen. Er betreibt daher dem Vernehmen nach beim König die Abberufung des ihm höchst suspekten liberalen Thronfolgers.«
»Das wäre eine Katastrophe für uns!«, keuchte Weaver. Dass ihm schlagartig das Blut aus dem fleischigen Gesicht wich, zeigte überdeutlich, wie sehr ihn diese Neuigkeiten entsetzten.
Beaulieu s Reaktion war weniger plakativ, doch auch seine Miene spiegelte tiefe Besorgnis wider. Wurde der Kronprinz nach Berlin zurückbeordert, ehe die
Great Eastern
mitsamt ihrer Waffenladung in der Bucht lag, war der gesamte Plan hinfällig. Konnte man ihn nicht als Geisel nehmen, dann gab es keine Hoffnung, die Provinz vorübergehend zu lähmen, und alles war zerronnen.
»König Wilhelm hat das Ansinnen des Ministerpräsidenten zurückgewiesen«, berichtete Kolowrath weiter. »Aber wer erlebt hat, mit welch verbissener Ausdauer Bismarck im Frankfurter Bundestag Österreich attackiert hat, der weiß, dass er seine Absichten hartnäckig verfolgt. Wir haben damit zu rechnen, dass er den König doch noch überzeugt. Folglich müssen wir Eile walten lassen.«
Der Ernst der Lage ließ tiefe Falten auf Charles Beaulieu s Stirn erscheinen. Er überlegte und befand schließlich: »Ich werde alles tun, um die Anlieferung zu beschleunigen. Doch bedenken Sie, die Baumwolle ist noch über North Carolina, Georgia und Alabama verteilt. Und die Eisenbahnen der Konföderation sind bereits hoffnungslos überlastet.«
»Ich setze volles Vertrauen in Ihre Fähigkeiten und den glühenden Patriotismus Ihrer Landsleute, der sicherlich so manche Unzulänglichkeit ausgleichen wird«, meinte der Österreicher und wandte sich sodann Weaver zu: »Aber nun zu Angenehmerem. Sie haben ein Exemplar des Plakats mitgebracht?«
Jeremiah Weaver, dessen Gesicht nur schleichend wieder an Farbe gewann, bejahte und begab sich hinüber zum Tisch, wo er seine lederne Aktentasche abgelegt hatte. Er öffnete die Schnallen und holte einen zweifach gefalteten Bogen dicken Papiers hervor, den er ausbreitete und stolz präsentierte.
Den Kopf des Plakats bildete das alte Siegel South Carolinas von 1776, das einen Palmettobaum und eine Frauengestalt als Allegorie der Hoffnung zeigte. Darunter folgte eine knapp gehaltene Bekanntmachung, links auf Deutsch und rechts auf Englisch, in der zunächst festgestellt wurde, dass Karolina nunmehr wieder South Carolina geworden und kein Teil Preußens mehr sei. Eine Reihe von Anordnungen legte unter anderem fest, dass sämtliche Waffen abzugeben waren, jegliche Versammlungen zu unterbleiben hatten und Zuwiderhandlungen unnachsichtig mit dem Tode bestraft wurden. Ganz am Schluss, jedoch durch größere Schrift hervorgehoben,
Weitere Kostenlose Bücher