Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
Vom Netzwerk:
doppeltes Schnalzen mit der Zunge, sich in Bewegung zu setzen. Das Wendemanöver auf der von vorwärtsdrängenden Fußgängern wimmelnden Straße erforderte Geduld und Geschick, aber schließlich war es vollbracht und die zwei Frauen fuhren in eine erheblich ruhigere Querstraße.
     
    »Sehr gut. Ihre Zuverlässigkeit verdient Lob«, befand Charles Beaulieu , nachdem Healey ihm die vom Handelsgericht ausgestellten Dokumente ausgehändigt hatte. Der Südstaatler warf nur einen oberflächlichen Blick auf die Schriftstücke, deren spitze Kurrentschrift er ohnehin nicht entziffern konnte, und reichte sie dann an den neben ihm stehenden Weaver weiter. Die
Great Eastern
war nun ganz offiziell ein preußisches Handelsschiff.
    »Und wie soll ich weiter verfahren, Sir?«, erkundigte Healey sich.
    »Indem Sie wie bisher in diesem Büro sitzen und sich bereithalten für den Fall, dass ich Anweisungen für Sie habe«, befahl ihm Beaulieu . »Ansonsten tun Sie nichts. Und das Schiff hat Sie von nun an auch nicht mehr zu interessieren. Merken Sie sich das!«
    Weaver wies auf die Wanduhr und drängte zum Aufbruch: »Wir müssen uns beeilen, Mr. Beaulieu . Der Oberst erwartet uns in einer halben Stunde.«
    »Natürlich. Wir wollen unseren Verbündeten nicht unnötig warten lassen«, meinte Beaulieu und wandte sich zum Gehen.
    Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden Männern geschlossen, da ließ Healey sich auf den knarrenden Schreibtischstuhl sinken und gab ein entnervtes Stöhnen von sich. Er ärgerte sich über die Herabsetzungen, die er unentwegt von Beaulieu zu erdulden hatte. Und das verwunderte ihn. Der Panzer aus Schwermut und Gleichgültigkeit, der ihn seit vielen Jahren vor solchen Empfindungen geschützt hatte, war durchlässig geworden. Lange vergessen geglaubte Gefühlsregungen kehrten zaghaft zurück. Healey wusste nicht, ob er darüber glücklich sein sollte. Es war sehr ungewohnt.
     
    Mit einem plötzlichen Ruck an den Zügeln brachte Rebekka Heinrich das Pferd abrupt zum Stehen. »Sehen Sie nur!«, raunte sie Amalie aufgeregt zu und wies auf das Gebäude der Richmond-Handelsgesellschaft etwa fünfzig Schritt vor ihnen. Gerade waren zwei Männer aus der Tür ins Freie getreten, einer ungeheuer feist, der andere in seinem weißen Anzug auf den ersten Blick als Südstaatler erkennbar; sie entfernten sich in die entgegengesetzte Richtung.
    »Der Dicke ist Jeremiah Weaver. Und der andere Charles Beaulieu «, erklärte sie. »Die konföderierte Regierung und die karolinischen NeitherNors stehen also in unheiliger Allianz. Warum überrascht mich das nicht?«
    Amalie blickte den beiden Männern nach und spekulierte argwöhnisch: »Ob dieser Schulterschluss mit der
Great Eastern
in Verbindung steht?«
    »Es fällt mir jedenfalls schwer, darin bloßen Zufall zu sehen«, entgegnete die Direktorin. Sie wartete noch ab, bis Beaulieu und Weaver um die nächste Ecke verschwunden waren. Dann erst fuhr sie mit dem Einspänner weiter bis zum Eingang des Hauses.
     
    Amalie von Rheines Anwesenheit genügte vollauf, um Alvin Healey zu betören. In der Hoffnung, sich auf diese Weise die Sympathien der heimlich Angebeteten zu erwerben, gab er auf sämtliche Fragen, die sie und Rebekka ihm stellten, bereitwillig und bedenkenlos Antwort. Sein Auskunftseifer wurde nur geringfügig gebremst durch seine Nervosität, durch die er sich gelegentlich verhaspelte und in seinen eigenen Sätzen verfing wie ein zappelndes Insekt in einem Spinnennetz. Er zeigte sich untröstlich, wenn die Sprache auf Dinge kam, von denen er selber nichts wusste. Dann versuchte er sein beschämendes Unwissen dadurch auszugleichen, dass er aus eigenem Antrieb auf Sachverhalte hinwies, die noch gar nicht zur Erwähnung gekommen waren. Der Gedanke, dadurch vielleicht Vertrauliches preiszugeben, kam Healey zwischendurch zwar; Skrupel verspürte er aber beileibe nicht. Im Gegenteil, es bereitete ihm klammheimliche Genugtuung, etwas zu tun, das den überheblichen Charles Beaulieu vermutlich maßlos erzürnt hätte.
    Rebekka legte grübelnd die Hand an die Wange. »Demnach begann alles mit der Ankunft dieses obskuren Österreichers. Sehr merkwürdig. Was wissen Sie denn über ihn?«
    »Nun ja«, entgegnete Healey und ließ ein verlegenes Räuspern folgen, ehe er weitersprach. »Eigentlich gar nichts. Nicht einmal, wo er wohnt. Und ich habe ihn auch lange nicht mehr gesehen. Aber Mr. Beaulieu hat mich instruiert, jedem von Oberst Kolowraths Anliegen umgehend nachzukommen,

Weitere Kostenlose Bücher