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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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sollte er hier erscheinen.«
    »Vielleicht könnten Sie uns sein Aussehen schildern, Herr Healey?«, bat Amalie.
    In den Ohren des Südstaatlers klangen die an ihn gerichteten Worte honigsüß. Beflissen sprudelte er heraus: »Aber gewiss, Fräulein von Rheine! Herr Kolowrath ist –«
    Er stockte. Bestürzt stellte er fest, dass er unfähig war, einen Menschen zu beschreiben. Nicht einmal ein klares Bild des Österreichers stand ihm vor seinem inneren Auge, nur eine konturlos verwaschene Erinnerung.
    »Es – es ist mit ungemein peinlich«, stammelte er verschämt. »Doch bei näherem Nachdenken … Ich merke, dass mir jedes Talent abgeht, Ihnen eine Darstellung seines Äußeren zu geben. Sie sehen mich untröstlich.«
    Amalie spürte, dass seine Verlegenheit weit größer war, als die Worte ahnen ließen. »Das ist nicht schlimm, ganz und gar nicht«, gab sie ihm mit einem beruhigenden Lächeln zu verstehen. »Sie waren bereits äußerst freundlich und zuvorkommend. Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet.«
    Rebekka, die kurz in Gedanken versunken war, weil sie sich das gerade in Erfahrung Gebrachte durch den Kopf gehen ließ, blinzelte und beeilte sich, dem beizupflichten: »Oh ja, das sind wir. Vielleicht darf ich Sie an einem der kommenden Tage zum Kaffee bei uns begrüßen? Sie sind stets auf das Herzlichste willkommen.«
    »Und wenn Sie uns demnächst bei einem Bummel über den Weihnachtsmarkt Gesellschaft leisten möchten, wäre das ganz reizend«, setzte Amalie hinzu.
    Über die unverhofften Einladungen, die ihm Gelegenheit gaben, sich in Amalies unmittelbarer Nähe aufzuhalten, war Healey hocherfreut. Ja, er konnte sein Glück kaum fassen. Überschwänglich sagte er zu.
    Die beiden Frauen gaben ihm nochmals zu verstehen, wie sehr sie sein Entgegenkommen zu schätzen wussten, und verabschiedeten sich dann. Als Healey hinter ihnen die Tür geschlossen hatte und er wieder alleine im Büro war, benötigte er einige Sekunden, um sich zu beruhigen. Sein Herz schlug ihm bis hoch hinauf zum Hals. Dabei bemerkte er, dass ihn nicht nur die Aussicht auf einige Stunden in Gegenwart Amalie von Rheines aufwühlte. Er freute sich auch, überhaupt eingeladen zu sein. Das Gefühl war seltsam, aber nicht unangenehm.
    Und dann geschah etwas so Außerordentliches, dass Healey selbst es kaum zu begreifen vermochte: Er musste lachen. Die Konstellation war so grotesk, dass er nicht anders konnte.
    Ein konföderierter Staatsbeamter, der überglücklich ist, weil ihn eine preußische Mulattin zum Kaffee eingeladen hat! Himmel, in Richmond würden sie mich teeren und federn!
    Er lachte so sehr, dass sein Bauch zu schmerzen begann und er sich krümmte.
     
    »Ich, Rebekka Heinrich, lade einen Vertreter der konföderierten Regierung zu Kaffee und Kuchen ein. Wenn das nicht absurd ist!«, sagte die Direktorin, während sie auf dem Kutschbock ihres Einspänners Platz nahm.
    »Aber Herr Healey ist ja auch jemand Besonderes«, betonte Amalie und ordnete ihre Röcke, die beim Aufsteigen ein wenig in Unordnung geraten waren.
    Rebekka nickte. »Das ist wahr. Er ist zu meinem Erstaunen irgendwie liebenswert. Ich mag den Anflug von Hilflosigkeit, der kaum merklich in allem steckt, was er sagt und tut. Der einzige sympathische Südstaatler, den ich in meinem gesamten bisherigen Leben traf.«
    Sie nahm die Zügel an sich und ließ das Pferd antraben. Die Luft roch nach Regen; sie wollte zur Schule zurückkehren, ehe sich die Schleusen des Himmels auftaten.
     
    * * *
     
    Durch die Glastür, die zur Veranda führte, blickte Wenzel von Kolowrath auf die Bucht von Friedrichsburg. Das vom Wind sanft gekräuselte Wasser glitzerte im Licht des Winternachmittags. Doch der Österreicher schenkte dem poetischen Spiel der Wellen keine Beachtung. Sein Augenmerk galt einzig dem monströsen Schiff, das am Rande der Fahrrinne verankert lag. Finster dominierte die
Great Eastern
ihre Umgebung. Winzig wie Fliegen neben einem Elefanten nahmen sich die von Dampfschleppern gezogenen Lastkähne aus, die an dem schwarzen Giganten längsseits gegangen waren.
    »Ein erfreulicher Anblick, Gentlemen«, meinte er zu Weaver und Beaulieu , die sich bei ihm im Salon befanden.
    »Und ein erfreulich schneller Beginn der Arbeiten«, entgegnete der Verleger. »Die Verladung der Baumwolle hat bereits begonnen, wie Sie ja sehen können. Und zugleich wird das Innere des Schiffes unseren Bedürfnissen angepasst.«
    »Exzellent. Wie steht es mit dem Verhalten der schwarzen

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