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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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finden. Doch am Ende stand ein aufs andere Mal die Einsicht, dass ihm keine Wahl blieb.
    Schweren Herzens legte er sich Papier und Feder zurecht. Die erste Hürde, die er überwinden musste, war das Knüpfen des Kontakts. Nur ein über jeden Verdacht erhabener Übermittler kam für Lincoln in Frage, wollte er seinem Gegenüber nicht Anlass zu Misstrauen geben, das die so wichtige Mission schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt hätte. Aber er wusste, wer ihm hier helfen konnte. Der Bürgerkrieg mochte vielleicht die Nation entzwei gerissen haben, doch Freund wie Feind teilten weiterhin ihre Kirchen. Er tauchte die Feder ins Tintenfass, führte sie zum Papier und begann zu schreiben:
To the Right Reverend William Rollinson Whittingham, Bishop of the Episcopal Diocese of Maryland.
    Er hielt inne und ging noch einmal mit sich ins Gericht. Zweifel bemächtigten sich seiner. War dieses Vorgehen recht? Lincoln schüttelte die Bedenken ab. Er durfte jetzt nicht wanken.
    Ich kann nicht zulassen, dass die Vereinigten Staaten zweimal zerbrechen,
bestärkte er sich abermals in seinem Entschluss und schrieb weiter. Und er fühlte sich, als würde er mit jedem Wort Verrat begehen.

14. Dezember
    »Und aus den genannten Gründen, Eure Hoheit, muss ich im Namen meiner Regierung entschiedensten Protest gegen die Anwesenheit der
Great Eastern
in Karolina erheben«, beendete Benjamin van Bloemendaal seinen kurzen, von ehrlicher Empörung durchdrungenen Vortrag.
    Der Konsul der Vereinigten Staaten stand in der Mitte des Arbeitszimmers dem Kronprinzen gegenüber, der sich die Ausführungen mit unbewegter Miene angehört hatte. Er wartete auf eine Reaktion des Thronfolgers, die aber zunächst ausblieb.
    Für einige unangenehm lange Sekunden beließ Prinz Friedrich es bei nachdenklichem Schweigen und blickte dem Diplomaten forschend ins Gesicht, ehe er nach knappem Räuspern endlich entgegnete: »Mit allem nötigen Respekt vor Ihrem Land und Ihrem verständlichen Unmut angesichts der Umstände, Sir – ich habe keinerlei Anlass zum Einschreiten.«
    »Eure Hoheit, der Anlass ist augenfällig!«, widersprach der Konsul vehement. »Wie ich Ihnen darlegte, ergaben meine umgehend eingeleiteten Recherchen, dass sich die
Great Eastern
nunmehr im Besitz der Richmond-Handelsgesellschaft befindet.«
    »Sie erwähnten das. Und ebenfalls, dass die südstaatlichen Rebellen unzweifelhaft beabsichtigen, mit Hilfe dieses Schiffes ihre leeren Kassen wieder zu füllen. Eine Einschätzung, in der ich Ihnen voll und ganz beipflichte.«
    »Als Vertreter meiner Regierung muss ich darauf bestehen, dass Sie jedes derartige Unterfangen drakonisch unterbinden, Eure Hoheit«, forderte der Amerikaner.
    Die undiplomatische Direktheit, mit der van Bloemendaal dieses Anliegen vorbrachte, missfiel dem Kronprinzen. Er empfand es als groben Affront, dass der Konsul ihm zu diktieren versuchte, wie er zu handeln habe. Verstimmt runzelte er die blonden Augenbrauen und erwiderte unterkühlt: »Ich habe nicht das Recht einzugreifen, da kein Verstoß gegen preußische Gesetze vorliegt. Wenn die
Great Eastern
legal unter der Flagge dieses Landes fährt, steht es mir nicht zu, sie aufzuhalten.«
    Van Bloemendaal, der in seinem Eifer die warnenden Signale nicht wahrnahm, platzte unbedacht heraus: »Was Ihnen zusteht oder nicht, ist ohne Belang! Die berechtigten Interessen der Vereinigten Staaten sind gefährdet!«
    »Sie vergessen sich!«, wies der Kronprinz den Konsul scharf zurecht. Van Bloemendaal erkannte, dass er sich hatte hinreißen lassen, und wollte um Verzeihung bitten; doch Prinz Friedrich schnitt ihm das Wort ab: »Ich bin nicht der Handlanger Ihrer Regierung, Sir. Und ebenso wenig unterliegt Preußen, das in Ihrem Bürgerkrieg strikte Neutralität wahrt, auch nur der geringsten Verpflichtung, sich Ihrem Land anzudienen. Sie dürfen gehen.«
    »Eure Hoheit, ich versichere Ihnen, dass es keineswegs meine Absicht war –«
    Doch die Bemühungen des Konsuls, die Situation durch eine Entschuldigung zu retten, waren zum Scheitern verurteilt. Prinz Friedrich ließ ihn nicht einmal ausreden, sondern wiederholte distanziert: »Ich sagte, Sie dürfen gehen.«
    Van Bloemendaal kochte innerlich vor Wut. Jeden gewöhnlichen Mann, der ihn so herablassend zu behandeln wagte, hätte er im Pistolenduell von dieser unerträglichen Arroganz kuriert. Aber er nahm sich zusammen, um nicht noch größeren Schaden anzurichten, als er ohnehin schon durch einen Moment der Unbesonnenheit

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