Die Fahrt des Leviathan
Sträuchern ausmachen ließen, trug zu seiner Beruhigung bei. Dennoch blieb er darauf bedacht, sich nicht durch ein vielleicht trügerisches Gefühl der Sicherheit zur Nachlässigkeit hinreißen zu lassen. Bis zum letzten Moment würde er die Umgebung sorgsam im Auge behalten.
Der Detektiv öffnete Lincoln die Tür der Kutsche und bereitete sich darauf vor, ihm beim Einsteigen behilflich zu sein. »Sie konnten Ihre Mission zu Ende führen, Mr. President?«, erkundigte er sich.
»Ja. Mr. Pinkerton«, bestätigte der Präsident. »Und ich glaube, zu einem guten Ende.«
22. Dezember
Auf Gut Mathildenruh
»Was nun?«
Jeremiah Weaver blickte Hilfe suchend in die Runde. Aber die anderen drei Männer, die mit ihm um den Tisch saßen, waren ebenso ratlos wie er selber. Sie schwiegen, wie vor den Kopf geschlagen.
Der notdürftig hergerichtete Salon des Gutshauses war kein Ort für gesellige Zusammenkünfte; er ähnelte eher einem eilig requirierten Offiziersquartier während eines Feldzugs. Neben dem hohen Kachelofen stand Levis Feldbett, bezogen mit einer faltenfrei straff darübergespannten Militärdecke. An den Wänden verschwanden die ausgeblichenen Seidentapeten hinter großformatigen Karten Friedrichsburgs, auf denen zahlreiche Gebäude und Straßen mit verschiedenfarbigen Markierungen und Fähnchen versehen waren. Geblieben waren von der einstigen gediegenen Pracht des Raums nur der Kristalllüster, der in schützende Tücher gehüllt von der Stuckdecke hing, und der ovale Empire-Tisch, an dem die vier niedergeschmetterten Verschwörer sich versammelt hatten.
»Ja, was nun«, wiederholte Oberst Kolowrath betreten die Frage des Verlegers. Eine Antwort aber fand auch er nicht.
Das chiffrierte Telegramm aus Richmond hatte alle ihre Pläne mit einem Schlag über den Haufen geworfen. Ohne Begründung untersagte Präsident Davis darin strikt jegliche gegen Preußisch-Karolina gerichteten Handlungen. Die Gefangennahme des Kronprinzen und die Besetzung Friedrichsburgs hatten zu unterbleiben. Die
Great Eastern
sollte ihre Waffenladung unter der schützenden preußischen Flagge an die Küste Nordmexikos bringen.
Von dort, so ordnete Davis an, würde das Kriegsmaterial auf dem Landweg zu seinem Bestimmungsort geschafft werden. Als Ersatzleistung für die widerrufene Eroberung Karolinas bot er Österreich ein großes Kontingent der konföderierten Armee als Hilfstruppe für den künftigen Kaiser von Mexiko an, unentgeltlich und zeitlich unbegrenzt. Doch eine Erklärung für seinen abrupten Sinneswandel, durch den er Karolina kategorisch für unantastbar erklärte, blieb er schuldig.
Kolowrath nahm das auf dem Tisch liegende Telegramm an sich, überflog nochmals die zu unbedenklich wirkenden Sätzen codierte Nachricht und knüllte das Blatt dann in einer Anwandlung von Ärger zusammen. »Das ist völlig inakzeptabel!«, wies er Davis’ neue Anordnungen ungehalten zurück. »Es ist mir unmöglich, diese einseitige, willkürliche Änderung unseres Abkommens hinzunehmen. Preußen muss Karolina an die Konföderation verlieren, andernfalls ist unsere Vereinbarung nichtig!«
»Ohne dieses zentrale Element geht der gesamte Plan jeglicher Daseinsberechtigung verlustig«, pflichtete Levi ihm bei.
»For heaven’s sake, was hat den Präsidenten bloß dazu veranlasst?«, keuchte Weaver. Obwohl es kühl war, stand ihm der Schweiß auf dem feisten Gesicht; unentwegt wischte er sich mit einem Taschentuch über die glänzende Stirn.
Charles Beaulieu wahrte äußerlich die Contenance, aber seine bedrohlich eng zusammengezogenen Augenbrauen, zwischen denen sich eine tiefe Falte wölbte, und die harte Linie seiner Lippen brachten zum Ausdruck, wie zornig er tatsächlich war. Die Hände hatte er vor sich auf dem Tisch liegen, so fest geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Jefferson Davis’ Verhalten grenzt an Verrat!«, knurrte er finster.
Das gefährliche Wort, das allen auf der Zunge gelegen hatte, war nun ausgesprochen worden. Und niemand protestierte. Im Gegenteil, Weaver nickte sofort beifällig und so nachdrücklich, dass sein aufgedunsenes Antlitz in wogende Bewegung geriet. »Davis muss klar sein, dass er durch seine Entscheidung die Konföderation um den sicheren Sieg bringt. Das ist eindeutig Hochverrat!«, konstatierte der Verleger aufgebracht.
»Oh ja … ja, Verrat«, murmelte Kolowrath, als hätte dieser Begriff in seinem Kopf etwas angestoßen. Dann plötzlich veränderte sich seine Miene völlig. Innerhalb
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