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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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eines Lidschlags löste sich seine Wut in Nichts auf und er fand übergangslos zu seiner gewohnten Souveränität zurück.
    Mit einem Blick in die Runde bemerkte er schlicht: »Und einem Verräter sind Sie keinen Gehorsam schuldig …«
    Die Offenheit, mit der Kolowrath ihnen nahelegte, Davis die Gefolgschaft aufzukündigen, erstaunte Beaulieu und Weaver. Der Verleger zeigte sich bestürzt über diesen unerhört scheinenden Gedanken, der ihm allzu unheimlich schien. Ganz anders aber reagierte der Südstaatler, der nichts von Weavers Skrupeln wissen wollte, sondern Feuer und Flamme war.
    »Jefferson Davis hat sein Anrecht auf das Präsidentenamt verwirkt«, stellte er hitzig fest. »Ich werde mich nach Richmond begeben, ein Dutzend Mitstreiter bewaffnen, das Weiße Haus stürmen und den Verräter absetzen. Ein würdiger Mann muss an die Spitze der Konföderierten Staaten treten. Dann führen wir unseren großen Plan ungehindert durch!«
    »Ein Staatsstreich!«, japste Weaver entsetzt.
    »Illusorisch, Sir«, erteilte Kolowrath dieser Vision eine lapidare Absage. »Wegen des streng geheimen Charakters unseres Abkommens wäre es Ihnen nicht möglich, der Nation eine stichhaltige Begründung für diesen Coup d’État zu geben. Die Umstürzler müssten als machthungrige Usurpatoren erscheinen und stünden auf verlorenem Posten gegen den unausweichlichen Volkszorn.«
    »Hinzu kommt, dass General Lee mit Sicherheit keinen Staatsstreich gegen das gewählte Staatsoberhaupt hinnimmt«, merkte Levi an.
    »Ach ja, dieser alte Trottel Lee mit seinen verstaubten Ehrbegriffen. Der würde sich natürlich gegen uns wenden und mit ihm seine ganze Armee. Verdammter Mist!«, fluchte Beaulieu .
    »Und wenn Davis nun einfach … dahinscheidet?«, warf Weaver, der seine Vorbehalte offenbar zu überwinden begann, vorsichtig ein. »Man könnte einen Anschlag inszenieren und hinterher einen Yankeeagenten oder einen fanatischen Abolitionisten als Täter präsentieren.«
    Der österreichische Oberst runzelte ablehnend die Stirn. »Davis’ Anweisungen werden durch seinen Tod nicht aus der Welt geschafft. Ja, er muss beseitigt werden, da seine Gesinnung ihn als Führer Ihrer Nation und Partner Österreichs disqualifiziert. Aber das ist, wenn überhaupt, erst nach einem Sieg der Konföderation möglich.«
    »Dann geben wir zunächst einfach vor, uns seinem Willen zu fügen«, regte Beaulieu an. »Wir bringen die Waffen über Mexiko ins Land und lassen Lee die Yankees vernichten. Wenn im Überschwang des Sieges niemand den Einzelheiten Aufmerksamkeit schenkt, entledigen wir uns des Verräters, so dass Vizepräsident Stephens ihm nachfolgt. Dessen Hass auf Preußen kenne ich! Er wird Davis’ beschämende Befehle unverzüglich widerrufen und den Befehl erteilen, mit überlegener Macht in South Carolina einzurücken. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob der Kronprinz noch in Charleston ist oder nicht.«
    Levi räusperte sich. »Erscheint Ihnen das aussichtsreich?«
    »Selbstverständlich. Die stolzen Regimenter konföderierter Veteranen gegen ein paar Tausend Preußen und Nigger. Ein Spaziergang«, erwiderte Beaulieu selbstsicher.
    »Ein Spaziergang also«, meinte der Leutnant unbeeindruckt. Er erhob sich vom Tisch und begab sich zu seinem Bett, unter dem er ein Gewehr hervorholte.
    »Das Perkussionsgewehr M/41, auch bekannt als Zündnadelgewehr«, kommentierte er und öffnete dabei einen Kasten Patronen. »Hinterlader, gezogener Lauf, tödlich auf zweitausend Fuß Distanz. Standardwaffe der preußischen Infanterie.«
    Beaulieu verstand nicht, worauf Levi hinauswollte. Irritiert beobachtete er, wie der Leutnant eines der Fenster öffnete und den Patronenkasten auf der Fensterbank abstellte.
    »Wenn Sie sich bitte zu mir bemühen möchten, Gentlemen«, bat Levi, während er sich vom einwandfreien Zustand des Gewehrs überzeugte. Von Neugier getrieben, kamen Weaver und Beaulieu der Aufforderung nach; Kolowrath wollte sich das bevorstehende Schauspiel gleichfalls nicht entgehen lassen, doch sein wissendes Lächeln deutete an, dass er den Zweck der Inszenierung erahnte.
    Levi zeigte auf die mit bröckelndem Putz überzogene Wand eines Stallgebäudes in gut dreißig Schritt Entfernung. Dann legte er ohne eine weitere Erklärung das Gewehr an und schoss. Die Kugel schlug in die Mauer ein und ließ auf einer handgroßen Fläche den Putz wegplatzen.
    Schon wollte Beaulieu verständnislos fragen, worin der Sinn der scheinbar nutzlosen Demonstration

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