Die Fahrt des Leviathan
bestand. Doch er kam nicht dazu. Levi senkte die Waffe, und in einer schnellen Abfolge routinierter Griffe zog er den Verschluss zurück, entnahm dem Munitionskasten eine Patrone, legte sie in das Gewehr ein, ließ den Verschluss wieder einrasten, legte an, feuerte. Der Wandputz zerbarst rund um einen weiteren Einschuss.
Levi lud nach, schoss, lud nach, schoss, immer wieder. Das metallische Klacken des Verschlusses und das Krachen der Schüsse folgten rasend schnell aufeinander. Dem überwältigten Beaulieu stand der Mund offen.
Erst nachdem er die siebente Kugel abgefeuert hatte, setzte Leutnant Levi die Waffe ab und wandte sich an den Südstaatler mit der trocken vorgebrachten Feststellung: »Mit diesem Gewehr gibt selbst ein schlechter Schütze fünf Schuss in derselben Zeit ab, die einer ihrer Veteranen benötigt, um seine armselige Vorderladermuskete einmal abzufeuern. Und man kann es im Liegen nachladen, ohne die Deckung aufzugeben. Ihre Leute hingegen müssen im Stehen mit Ladestöcken hantieren und machen sich zu schutzlosen Zielscheiben. Durch den Mobilmachungsbefehl des Kronprinzen stünden dreißigtausend Mann zur Verteidigung Karolinas bereit, ohne Ausnahme mit Zündnadelgewehren ausgestattet. Ihre stolzen konföderierten Regimenter würden dahinschmelzen wie Butter in der Sonne, Sir.«
Beaulieu taumelte. »Oh Gott, ich sehe es vor mir!«, ächzte er fassungslos. »Das gäbe einen Aufstand, eine Meuterei!«
»Durchaus denkbar«, meldete sich nun Kolowrath zu Wort, der die Vorführung aufmerksam verfolgt hatte. »Ein simpler Einmarsch in Karolina, wie Sie ihn favorisierten, scheidet somit aus.«
Weaver musste vom beißenden Qualm des Schießpulvers, der in der Luft hing, kräftig husten. Das aber hinderte ihn nicht daran, sich zu ereifern: »Zur Hölle! Ich wünschte, es gäbe eine gewaltige Bombe, mit der wir alle Yankees auf einmal von der Erde tilgen könnten! Dann wären wir aller dieser Sorgen ledig.«
»Eine solche Bombe wäre ungemein praktisch. Doch existiert sie halt leider nicht«, meinte Levi und legte das Gewehr auf die Fensterbank.
Wie von einer Eingebung aus heiterem Himmel überkommen riss Charles Beaulieu die Augen weit auf. »Dann bauen wir sie.«
»Meinen Sie nicht auch, dass ein solches Projekt doch sehr irreal wäre?«, hielt Levi fast belustigt entgegen.
»Natürlich keine Bombe, die wirklich alle Yankees in die Hölle befördert. Aber eine – eine, die New York auslöscht!« Beaulieu s Augen glühten. Er begann, ruhelos den Raum zu durchschreiten, und berauschte sich an seinen eigenen Worten, als er seine Vision schilderte: »Ja, das ist es! Stellen Sie sich vor, die
Great Eastern
holt keine Waffen aus Europa. Sie ist nur mit Schießpulver beladen, bis zum Rand. Die Yankees bekommen sie in die Hände, man bringt man das Schiff in den Hafen von New York – und dort: kawumm!« Durch eine weit ausgreifende Geste der Arme deutete er die Macht der Explosion an.
Entgeistert wollte Levi zur Vernunft rufen, wurde aber von Kolowrath durch ein dezentes Zeichen zurückgehalten. »Der Effekt wäre sicher äußerst erschütternd«, bemerkte der Österreicher. »Doch was versprechen Sie sich davon?«
Beaulieu blieb stehen, stützte sich mit beiden Armen auf den Tisch und blickte Kolowrath an. »Sie denken, diese Idee sei nutzlos, eine reine Ausgeburt meines persönlichen Abscheus gegen die elende Yankeerasse. So ist es doch?«
»Der Eindruck liegt zumindest nahe, Sir.«
»Und doch ist er falsch. Ich bin auch durchaus bei Sinnen, falls Sie an meinem Verstand zweifeln. New York ist die größte und wichtigste Stadt des Nordens, Zentrum von Wirtschaft und Handel. Seine Vernichtung wäre ein Schlag von furchtbarer Wirkung.«
»Trotzdem würde die Union den Krieg fortsetzen. Und nach einer solchen Schreckenstat des Südens viel grimmiger als zuvor«, hielt der Oberst entgegen.
»Eine Schreckenstat des Despoten Lincoln, meinen Sie wohl«, berichtigte Beaulieu diabolisch lächelnd. »Wir spielen ihm vorher die Meldung zu, dass der Kapitän das Schiff ausliefern will. Die Yankeemarine findet es verlassen an einer vereinbarten Stelle, schleppt es auf Lincolns ausdrücklichen Befehl nach New York. Es wird an den Quais von Manhattan vertäut … und wenn es dann in die Luft geht und die Stadt dem Erdboden gleichmacht, trägt in den Augen aller ganz allein Honest Abe die Verantwortung für die Apokalypse!«
Kolowrath schlug in einer Aufwallung von Begeisterung die Hände zusammen. »Aber
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