Die Fahrt des Leviathan
empfand Mitleid für Healey. Ihm war nicht entgangen, wie geringschätzig Beaulieu den Unglücklichen behandelte. Und nun auch noch Herzenskummer eines preußischen Rivalen wegen, das war überaus ungerecht. Als Amerikaner des tiefen Südens rührten ihn tragische Geschichten unerfüllter Liebe unweigerlich an. Liebend gerne hätte er Healeys heimlichen Wunsch erfüllt und Täubrich für immer aus dem Weg geschafft. Doch wie hätte er das anstellen sollen? Die Risiken auf sich zu nehmen, die ein kaltblütiger Mord mit sich brachte, war seine Sache nicht.
Er wuchtete sich unter Keuchen auf den Kutschbock und ließ die Pferde antraben. Dass er nichts für Healey tun konnte, betrübte ihn sehr. Doch er musste sich um andere Dinge kümmern. Wichtigere Dinge.
»Eine oder zwei Wochen ohne den elenden Quacksalber. Ist das denn zu viel verlangt?«
Healeys Stimme hatte nicht mehr den Klang nachdrücklichen Forderns; jetzt bat er nur noch. Dann merkte er, dass auch dieses Flehen sinnlos war.
»Fuck you!«, murmelte er resigniert. Er umfasste den Pumpenschwengel und ließ mit zwei kräftigen Zügen einen Schwall Wasser in die Schüssel klatschen.
* * *
Die Luft war schwer vom duftenden Qualm teurer Zigarren und dem Aroma alten Brandys. Doch weder das eine noch das andere konnten die elf Männer, die in großen Lederfauteuils beisammen saßen, wirklich genießen.
Zu ernst war der Anlass ihrer Zusammenkunft.
Im dunkel getäfelten Rauchsalon des Weaver’schen Stadthauses hatten sich an diesem Abend respektable Angehörige der englischsprachigen Minderheit Karolinas versammelt. Geschäftsleute, Juristen und Privatiers, allesamt angesehene Bürger. Nur wenige wussten, dass diese Leute auch die heimlichen Köpfe der NeitherNors waren und seit langer Zeit schon im Verborgenen verbissen die preußische Herrschaft zu unterminieren versuchten, so wie bereits ihre Eltern und Großeltern vor ihnen.
Auch Charles Beaulieu war anwesend. Obgleich seiner Herkunft nach kein NeitherNor, stand er schon seit eh und je in enger Verbindung zu der verschworenen Gemeinschaft und förderte ihren Kampf, wo er nur konnte. Viele Jahre hatte er sich als Mittler zu sympathisierenden Kreisen der Pflanzeraristokratie in den Südstaaten verdient gemacht, Gelder aufgetan und war seit Beginn der Sezession der einflussreichste Fürsprecher der NeitherNors in Richmond.
Beaulieu hatte den Anwesenden über Davis’ Entscheidung berichtet und es verstanden, die Entrüstung über die verräterische Kehrtwende des Präsidenten durch seine suggestive Rhetorik in eine zweckdienliche Richtung zu lenken. Am Ende war das angestrebte Ziel erreicht. Kein Widerspruch regte sich bei Verkündung des neuen Plans, jedermann stimmte der Vernichtung New Yorks zu. Einige halbherzig vorgebrachte Bedenken moralischer Natur fielen nicht ins Gewicht; die einhellige Meinung war, dass sich die Yankees den bevorstehenden Blutzoll selbst zuzuschreiben hätten.
Präsident Davis’ Beseitigung wurde gleichfalls einhellig befürwortet, hatte er sich doch in den Augen aller des heimtückischen Verrats an der Sache des Südens und South Carolinas schuldig gemacht. Dass General Lee ebenfalls das Zeitliche würde segnen müssen, stieß auf Bedauern, doch die Notwendigkeit der Maßnahme wurde nicht in Frage gestellt.
Ernstliche Einwände gab es nicht. Zu erhebend war die Vorstellung, durch einen einzigen gewaltigen Schlag, durch seine Urgewalt einem Strafgericht Gottes gleich, den Sieg des Südens und die seit Jahrzehnten ersehnte Befreiung South Carolinas herbeizuführen.
Zwar war General Hopkins nicht aus Savannah angereist, hatte aber übermitteln lassen, dass er den Plan bedingungslos unterstütze und dem Verräter in Richmond den Gehorsam aufkündige. Er wollte mit allerlei Winkelzügen die 62nd Georgia Volunteer Infantry so lange in Savannah halten, bis der Tag des Marsches auf Charleston gekommen war. Und auch Captain Hendricks hatte sich, wie kaum anders zu erwarten, zur Übernahme des Kommandos auf der
Great Eastern
bereiterklärt.
»Ich habe Hendricks’ Heldentaten in den Gazetten verfolgt. Wir können uns keinen besseren und mutigeren Kapitän für unser Schiff wünschen«, fand Franklin Potter, ein schmalgesichtiger Advokat mit lauernden, schlauen Augen. »Doch bedarf er aufgrund seines Zustandes medizinischer Betreuung. Wir sollten uns für die Reise der Dienste eines verlässlichen Arztes versichern.«
Beaulieu drückte seine nur halb aufgerauchte Zigarre in
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