Die Fahrt des Leviathan
bläulich zuckend über der Brennerdüse tänzelte. Er regelte die Gaszufuhr höher, das Licht wurde heller und entriss den Raum der Finsternis.
Anstatt die Streichhölzer wieder einzustecken, warf Healey die Schachtel verbittert auf den Tisch. Er hasste diesen Tag. Er hasste Täubrich.
Und er hasste sich selbst, weil er sich nicht mit dem verabscheuten Doktor messen konnte. Wie sollte er sich jemals vor Amalie von Rheine beweisen, wenn Georg Täubrich immerzu in ihrer Nähe war und ihre ganze Aufmerksamkeit erhielt?
Welche Macht auch immer es war, die ihn in so sadistischer Weise leiden ließ, ob nun Gott, der Teufel oder das Schicksal, er verfluchte sie. Und er wusste schon jetzt, dass er sie abermals verfluchen würde, wenn er morgen der Einladung zur Weihnachtsfeier bei Rebekka Heinrich Folge leistete. Dann musste er erneut Amalie an Täubrichs Seite sehen, wehrlos dem Schmerz ausgeliefert, der ihn dabei innerlich aufzehrte.
Healey legte Hut und Mantel ab und schleuderte beides achtlos auf den Stuhl. Dabei bemerkte er, dass seine Finger klebrig waren. Es musste von den gebrannten Mandeln herrühren, die Rebekka Heinrich ihm aufgenötigt hatte. Um sich die Hände zu waschen, begab er sich in den kleinen Nebenraum beim Treppenaufgang. Die Tür ließ er hinter sich offen, damit das Licht aus dem Büro für bescheidene Helligkeit sorgte. Nicht, dass es etwa viel zu sehen gegeben hätte; das karge Gelass enthielt nur einen Tisch mit einer eingelassenen Waschschüssel, deren weißer Emailleüberzug bereits an unzähligen Stellen abplatzte, sowie eine kleine Handpumpe, deren Schwengel Healey umfasste. Doch er begann nicht zu pumpen. Er verharrte regungslos, die Augen auf die leere Wand vor sich gerichtet. Zwei, drei, vier Minuten lang stand er so, ganz gefangen in seinen Gedanken.
Wenn Täubrich nur fort wäre,
hallte es in seinem Kopf wider.
Nur so lange, dass ich eine Weile nicht dem Vergleich mit ihm unterworfen bin …
»Du hörst mich doch, nicht wahr?«, sagte er herausfordernd. »Tu nicht so, Gott. Wenn du da bist, dann hörst du mich auch. Ja, ich spreche mit dir! Obwohl ich nie so recht an dich geglaubt habe. Jetzt weiß ich nämlich, dass es dich gibt. Ich merke nämlich, wie du mit mir spielst und dich über mich lustig machst. Du brauchst dich gar nicht zu verstecken, du hast dich verraten!«
Seine Stimme wurde lauter und aggressiver.
Er ließ von der Pumpe ab, krallte sich mit beiden Händen an der Tischkante fest.
»Schön, du hast mir also gezeigt, wie mächtig du bist. Und? Kannst du mit deiner verdammten Allmacht auch was Brauchbares anstellen? Zum Beispiel dafür sorgen, dass dieser Pillendreher, den du mir als Plage vor die Nase gesetzt hast, für einige Zeit weit weg von Fräulein Amalie ist? Oder ist das zu schwer für dich?«
Jeremiah Weaver quälte sich schwerfällig von seinem Phaeton hinab. Eigentlich war er auf dem Weg nach Hause, wo er den Besuch bedeutender Mitstreiter erwarten wollte. Doch er hatte sich entschieden, einen Halt beim Büro der Richmond-Handelsgesellschaft einzulegen, damit er sich von Healey den Schlüssel zum Lagerhaus ausborgen konnte. Ihm war in den Sinn gekommen, dass die Druckerpresse, an der sein Bruder so lange und hart gearbeitet hatte, sich noch immer dort befand. Es wäre, so fand Weaver, nur recht und billig, wenn er die Maschine abholen und von einem Ingenieur vollenden ließ.
Als der Verleger das Büro berat, traf er niemanden an, obwohl das Gaslicht brannte. Schon wollte er laut nach Healey rufen, da vernahm er dessen Stimme aus der Kammer neben der Treppe.
»Mehr verlange ich nicht von dir, Gott. Nur dieses eine Zeichen von dir!«
Auf der Stelle begriff Weaver, dass Healey betete. Eigentlich wollte er sich dezent zurückziehen, aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen, das Gebet zu belauschen. Bewegungslos, um nicht durch Geräusche seine Anwesenheit preiszugeben, folgte er den Sätzen, die aus der offenen Tür zu ihm drangen.
»Georg Täubrich muss fort. Gib mir Zugang zum Herzen dieser Frau, indem du mich von meinem Widersacher befreist!«
Fast wäre Weaver ein Laut der Überraschung entfahren. Healey war also unglücklich verliebt, und ausgerechnet Doktor Täubrich, sein eigener Hausarzt, stand in besserer Gunst bei der betreffenden Dame. Kaum etwas hätte unerwarteter sein können.
Der Verleger entschied, dass er genug gehört hatte. Er öffnete vorsichtig die Tür, schlüpfte hinaus und ging grübelnd zurück zu seiner Kutsche. Er
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