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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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ich immerhin etwas feststellen können. Herr Healey lebt immer nur dann wirklich auf, liebe Amalie, wenn Sie hinzukommen.«
    Die Lehrerin sah Rebekka verwundert an. »Das war mir gar nicht bewusst.«
    »Und dennoch verhält es sich so«, versicherte die Direktorin. »Ich glaubte, Ihnen wäre längst aufgefallen, wie sehr er sich darum bemüht, speziell in Ihrer Gegenwart gelöst und heiter zu erscheinen.«
    Ungläubig runzelte Amalie die Stirn; wollte Rebekka Heinrich ihr mit dieser Behauptung einen seltsamen Streich spielen? Eine andere Erklärung konnte sie sich jedenfalls nicht zusammenreimen.
    Aber dann bestätigte Carmen, die nun einen passenden Platz für die Kugel gefunden hatte, die Beobachtungen der Direktorin: »Mir fiel es auch auf. Immer, wenn Sie da sind, ist Herr Healey wie ausgewechselt. Vielleicht …« Die Oberlehrerin räusperte sich verlegen und sprach mit umsichtig gewählten Worten weiter: »Nun ja, sein Verhalten verleitet zu gewissen Spekulationen.«
    »Sie denken, Herr Healey hegt insgeheim Gefühle für mich?«, platzte Amalie verdutzt heraus. Unwillkürlich ließ sie im Geiste ihre bisherigen Begegnungen mit Healey Revue passieren, rief sich sein Auftreten ins Gedächtnis. Sollte es tatsächlich stimmen? Sie geriet ins Grübeln.
    Dann jedoch wischte sie diese Überlegungen kurzentschlossen beiseite. Die Idee, dass ausgerechnet Alvin Healey versteckte Empfindungen für sie haben sollte, war doch einfach zu lächerlich.
    »Wenn der Gute heimlich in mich verliebt ist, kann er ja versuchen, mein Herz durch strahlende Heldentaten zu erringen. Obwohl er es gegen die bestehende Konkurrenz sehr, sehr schwer haben dürfte«, tat sie die Vermutungen scherzhaft ab, um sich dann dem Schmücken des Baums zu widmen. Es gab noch manches zu erledigen, ehe in einer Stunde die Gäste eintrafen.
     
    * * *
     
    »Wir können die
Great Eastern
nicht versenken«, fasste Sean O’Higgins zusammen, »doch wir können sie unbrauchbar machen.«
    An der unverputzten Ziegelwand hinter sich hatte er mit Nägeln einen großen Plan des Riesenschiffs befestigt. Rote Kreuze, die selbst im dürftigen Licht der zwei Petroleumlampen gut zu erkennen waren, kennzeichneten die Stellen, an denen das Ungeheuer die tödlichen Wunden erleiden sollte. Eine besonders auffällige Markierung machte den zentralen Maschinenraum kenntlich.
    Insgesamt hatten sich in dem aufgelassenen Fährhaus am Alten Hafen sieben Mann versammelt, um über den endgültigen Plan zur Zerstörung der
Great Eastern
zu beraten. O’Higgins’ komplette Truppe erfahrener Saboteure war zusammengekommen; ihnen war ein unversöhnlicher Hass auf die rebellischen Südstaatler gemein, den man bei irischen Einwanderern alles andere als häufig antraf.
    Anfangs hatten sie noch starke Zweifel gehegt, ob dieser Auftrag nicht einige Nummern zu groß für sie war. Diese Unsicherheit war längst vergessen. An diesem Nachmittag waren sie nicht zusammengekommen, um die Machbarkeit des Vorhabens zu erörtern. Alles war schon genau durchdacht.
    An den richtigen Orten im Schiff entzündete Brandsätze sollten die fünftausend Tonnen Baumwolle, die sich jetzt schon an Bord befanden, in Flammen aufgehen lassen. Mochte die
Great Eastern
auch aus Eisen sein, ihre Ladung war es nicht. Durch die infernalische Hitze würde der Koloss völlig ausglühen, bis er nur noch ein schwimmendes Wrack war. Eine Bombe im mittleren Maschinenraum, zur Explosion gebracht durch die umgebende Höllenglut, stellte dann nur noch den Fangstoß dar. Das Schiff und seine für die Rebellen so kostbare Ladung konnten ihrem Schicksal nicht mehr entgehen.
    »Das Wichtigste sind die Brandsätze, ohne die läuft nichts. Wie sieht’s aus, Ian?«, wollte O’Higgins wissen.
    Ian Kelly trat vor, eine Flasche in der Hand. Er war ein ausgewiesener Fachmann für Explosionen und Verheerungen aller Art. Schon in der alten Heimat hatte er sich als Spezialist auf diesem Gebiet einen Namen gemacht. Der Sprengsatz, der bei dem aufsehenerregenden Anschlag auf die Royal Ulster Constabulary im Mai 1858 sechzehn Polizisten zerfetzt hatte, war sein Meisterstück gewesen. Danach allerdings hatte er aus Irland fliehen müssen, um Britannias Racheschwert zu entgehen.
    Er präsentierte die dunkelgrüne Flasche, die ein gewöhnliches Weinetikett trug und keineswegs gefährlich wirkte. »So sehen unsere Brandsätze aus«, stellte Kelly das Ergebnis seiner Arbeit vor. »Im Wesentlichen Petroleum, Pech und Salpeter. Lässt sich nicht

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