Die Fahrt des Leviathan
dem vor ihm platzierten überreich ornamentieren Aschenbecher aus. »Daran dachte ich auch schon. Kennt einer der Gentlemen einen Arzt, den wir engagieren können?«
Gerade war Jeremiah Weaver im Begriff, sich ein weiteres Glas Brandy einzuschenken; nun hielt er mitten in der Bewegung inne, die gesenkte Flasche in der Hand. Eine unverhoffte Eingebung war über ihn gekommen.
Er entsann sich Healeys Gebets und erkannte, dass sich ihm eine Gelegenheit bot, dem Geschick des Bedauernswerten eine Wendung zu verleihen. Nein, es war nicht nur eine Gelegenheit. Es musste einfach mehr sein: ein Fingerzeig, und ein sehr deutlicher obendrein.
»Ich wüsste einen geeigneten Arzt«, verkündete er und stellte die Brandyflasche ab. Der Drink konnte warten. »Doktor Georg Täubrich.«
»Ein Preuße?«, stutzte Beaulieu skeptisch.
»Warum nicht? Es dürfte erheblich zum unverdächtigen Anschein des gesamten Unternehmens beitragen«, hielt Weaver entgegen.
Nun meldete sich auch Francis Yeoman zu Wort, Eigner der zweitgrößten Bank Karolinas: »Zudem dürfte Doktor Täubrich leicht zu gewinnen sein. Es scheint, dass er sich in Geldverlegenheiten befindet. Vor einigen Tagen sprach er bei mir wegen eines Kredits über fünfhundert Thaler vor, den ich ihm verwehren musste.«
Robert LaGrange, Teilhaber eines anderen Bankhauses, schloss sich Yeomans Einschätzung an. »Er war mit diesem Anliegen auch bei uns«, erinnerte er sich. »Keine Frage, der Doktor bedarf recht dringend einer größeren Summe Geldes. Mit großzügiger Entlohnung ließe er sich gewiss überzeugen, die Unbequemlichkeiten der mehrwöchigen Reise auf sich zu nehmen.«
Diesen Argumenten konnte sich Beaulieu nicht verschließen. Nach einigem Nachdenken stimmte er zu und man kam überein, Täubrich die Stelle des Schiffsarztes anzutragen. Weaver, dem die Aufgabe zufiel, an den Doktor heranzutreten, war überaus zufrieden. Natürlich behielt er für sich, dass er seine ganz eigenen Gründe für diesen Vorschlag hatte. Nun musste er nur noch Hendricks diskret zu verstehen geben, dass er eine Heimkehr Täubrichs nicht für wünschenswert hielt. Aber der Verleger war sich vollkommen sicher, dass der Kapitän ihm diesen bescheidenen Gefallen nicht verwehren würde. Leise lächelnd füllte Weaver sein Glas und lehnte sich im Sessel zurück.
Noch über zwei Stunden saßen die Anführer der NeitherNors beisammen, um eine Reihe von Einzelfragen zu klären. Die Zusammensetzung der ersten Regierung des wiedererstandenen South Carolina war keine Angelegenheit, über die man mit leichter Hand befinden konnte. Schließlich kam man überein, wer welches Amt übernehmen sollte, sorgsam abgewogen nach den jeweiligen Verdiensten im langen Kampf gegen die preußische Fremdherrschaft. Auch die Verteilung der Schwarzen an treue NeitherNors wurde mittels eines komplexen Schlüssels zur allseitigen Zufriedenheit geregelt.
Zum Abschluss der Versammlung hatte der Advokat Potter dann noch eine Inspiration, die er seinen Mitstreitern voller Enthusiasmus umgehend mitteilte. »Wir sollten den Namen des Schiffes ändern«, schlug er feierlich vor. »Und zwar in
Leviathan!«
Der Einfall riss die Anwesenden zu spontanem Applaus hin. Jeder von ihnen war hinreichend bibelfest, um zu verstehen, wie bedeutungsschwer diese Bezeichnung war. Leviathan, das einzig von Gott zu bezwingende Monstrum! Das Seeungeheuer, dessen vernichtender Macht die Menschen hilflos ausgeliefert waren. Dieser Name umschrieb nach allgemeiner Überzeugung in ungemein treffender Weise das Wesen des Schiffes. Bei erster Gelegenheit wollte Beaulieu , der für derartige Symbolik sehr empfänglich war, Healey anweisen, die Namensänderung beim Handelsgericht durchzuführen.
Mittlerweile war es spät in der Nacht. Glücklich über das Beschlossene und das Bevorstehende verabschiedeten sich die NeitherNors von ihrem Gastgeber, um gehobener Stimmung den Heimweg anzutreten. Nur Beaulieu blieb noch, um mit Weaver einige Kleinigkeiten zu klären.
Als alle anderen gegangen waren, zog der Verleger einen Zettel aus der Westentasche. »Ich habe hier eine kleine Liste von Anordnungen zusammengestellt, die meines Erachtens die Regierung von South Carolina gleich zu Auftakt beschließen sollte«, sagte er und reichte Beaulieu das Papier. »Vielleicht haben Sie auch noch Anregungen?«
Der Südstaatler überflog das Schriftstück, dann gab er es zurück. »Lediglich eine. Ich will diesen anmaßenden Soldatennigger in die Finger
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