Die Fahrt des Leviathan
durchzugehen, oder soll ich sie vorerst im Regal ablegen?«
Eben noch hatte Pfeyfer beabsichtigt, FliegenderSchwarzer-Adler hinunter zum Hafen zu schicken, um Hopmanns Hinweis nachzugehen. Doch der Anblick des abschreckend großen Aktenstapels ließ es ihm spontan angebracht erscheinen, sich der Sache persönlich anzunehmen. Er musste sich zwar sputen, da sich für den Abend kurzfristig Rebekka Heinrich bei ihm angekündigt hatte, um eine eventuell anstehende Rede zu besprechen. Doch das war kein wirkliches Problem, um mehr als ein Hirngespinst des Apothekers handelte es sich ja höchstwahrscheinlich ohnehin nicht.
»Weder noch, Leutnant«, entgegnete er. »Das vertraue ich Ihnen an. Sichten Sie die Akten und sortieren Sie alle nach Dienstjahren, Rang und Auszeichnungen. Sie dürfen sich Zeit lassen.«
Mit diesen Worten stand er vom Schreibtisch auf, nahm Mütze und Degenkoppel vom Kleiderständer und ging hinaus. FliegenderSchwarzer-Adler verzog unfroh das Gesicht. Er hatte das Gefühl, als würde der staubige Aktenstapel in seinen Händen plötzlich ganz erheblich an Gewicht zunehmen.
O’Higgins machte die Leine los und stieß mit dem Bootshaken die Dampfbarkasse vom Anleger ab. Nun wurde es also ernst.
Seine Truppe, mit groben Jacken und Tuchmützen als Hafenschiffer maskiert, war bereit für ihren bislang größten Einsatz. Für den äußersten Notfall trugen sie unter der Kleidung versteckte Revolver bei sich, um sich notfalls den Rückweg freizuschießen. Doch wirklich rechnete keiner der sieben Iren damit. Im Chaos der überall auflodernden Brände würde die Besatzung der
Great Eastern
keinen Gedanken darauf vergeuden, sich ihnen in den Weg zu stellen.
»Habt ihr auch noch mal gebetet? Vor so was sollte man den Allmächtigen und die Heiligen günstig stimmen«, erinnerte O’Higgins seine Männer ernsthaft.
»Aye, hab’ ich«, bestätigte Mac Cana, der am Steuer stand. »Und in der Kirche ’ne Kerze für den heiligen Patrick aufgestellt.«
Ian Kelly, der Sprengstoffexperte, stieß ein spöttisches Schnauben aus. »Geldverschwendung. Wenn’s da oben überhaupt wen gibt, kümmert er sich ja doch bloß einen Dreck um uns«, meinte er verächtlich und prüfte dann nochmals die Seile, mit denen die Kisten an Deck festgezurrt waren. Auf gar keinen Fall durfte auch nur eine Flasche zu Bruch gehen.
»Red’ nicht so einen Mist!«, fuhr Mac Cana ihn wütend an. »Wenn dich für dieses gottlose Geschwätz der Blitz trifft, sind wir alle geliefert, also halt das Maul!«
Kelly verdrehte sarkastisch die Augen, sagte aber nichts mehr und kümmerte sich stumm weiter um die tödlich gefährlichen Kisten.
An die Streitereien zwischen seinen Männern war O’Higgins gewöhnt, sie bereiteten ihm keine Sorgen. Er konnte sich darauf verlassen, dass die Leute trotz ihrer mannigfaltigen Differenzen perfekt zusammenarbeiteten, sobald es darauf ankam. So würde es auch diesmal sein. O’Higgins war sich des Erfolgs ganz sicher. Wer sollte sie auch aufhalten?
Dreimal hatte Pfeyfer angeklopft, ohne eine Reaktion zu erhalten. Nun wurde es ihm zu bunt. Zwar hatte er sich fest vorgenommen, Zurückhaltung zu üben, um nicht erneut Schiffbruch zu erleiden wie bei der Durchsuchung des Lagerhauses. Weil ihm keineswegs daran gelegen war, unnötig die Pferde scheu zu machen, hatte er ja auch nur das bescheidene Aufgebot von zwei Soldaten mitgebracht. Aber er wollte sich auch nicht an der Nase herumführen lassen. Vor dem Fährhaus waren sieben Pferde angebunden, folglich musste jemand anwesend sein. Deshalb erweckte das beharrliche Schweigen seinen Argwohn.
Wer immer sich im Gebäude befand, versuchte etwas zu verbergen.
Der Befehl, die Tür einzuschlagen, lag Pfeyfer schon auf der Zunge. Doch dann fasste er zunächst nach der Klinke. Natürlich erwartete er nicht, so einfach in das Haus gelangen zu können. Aber niemand sollte ihm vorwerfen können, er hätte übereilt und unnötigerweise Privateigentum beschädigt.
Zu seinem großen Erstaunen war die Tür jedoch unverschlossen und ließ sich öffnen. Die Leichtigkeit, mit der er sich Zutritt verschafft hatte, steigerte Pfeyfers Misstrauen allerdings eher, als es zu mindern. Etwas sagte ihm, dass er auf der Hut sein musste. Er erteilte den beiden Soldaten den Befehl, vorsorglich die Gewehre zu laden. Mit der Hand am Degengriff und bereit, im Ernstfall unverzüglich die Klinge zu ziehen, ging er sodann voran.
Der Werkstattraum, der nur durch wenige verdreckte
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