Die Fahrt des Leviathan
hinunter. Sogleich füllte Pfeyfer nach, da er nicht die geringste Ahnung hatte, was er sonst tun konnte. Er kam sich schrecklich hilflos vor.
Sie hat recht!,
durchfuhr es ihn auf einmal.
Herr im Himmel, es stimmt! Was habe ich angerichtet?
Ihm wurde klar, dass etwas eigentlich Unmögliches geschehen war. Er hatte seine Pflicht erfüllt. Und es war falsch gewesen.
Plötzlich fühlte er sich gar nicht wohl; ihm war, als würde das Blut aus seinem Kopf weichen. Schnell goss er sich auch seine Tasse randvoll mit Cognac, den er dann in einem Zug austrank.
29. Dezember
Fürchterliches Schädelbrummen begrüßte den langsam aus dem Schlaf erwachenden Pfeyfer. Seine Lider kamen ihm schwer wie Hufeisen vor und er verspürte auch keinerlei Drang, sie zu öffnen. Dass Licht in seine Augen stach, fehlte ihm gerade noch. Er fühlte sich auch so schon grässlich genug.
Im Niemandsland des schleichend zurückweichenden Halbschlafs nahm sein Gehirn widerwillig und träge die Arbeit auf. Schon die Vorstellung, das Bett zu verlassen, verursachte ihm zusätzliche Qualen. Wie er diesen Tag lebend überstehen sollte, wusste er nicht. Ihm war jetzt schon, als galoppierte ein Kavallerieregiment durch seinen Kopf.
Aber es half nichts. Ihm wurde klar, dass er nicht im Bett liegen bleiben konnte. Ganz vorsichtig öffnete er die Lider, um sein geschundenes Hirn ja nicht durch ein Übermaß an Helligkeit zu überfordern.
Und dann riss er erschrocken die Augen auf. Neben ihm lag Rebekka Heinrich, schlafend inmitten zerwühlter Decken.
Schlagartig war Pfeyfer hellwach. Von blankem Entsetzen gepackt, stieß er einen Schrei aus, der die Schuldirektorin aus dem Schlaf riss. Als sie die Augen aufschlug und gleich als Erstes den Major sah, fuhr sie zusammen und kreischte schrill.
Kopflos vor Schrecken sprang Pfeyfer mit einem Satz aus dem Bett, nur um festzustellen, dass er splitternackt war. Fast panisch suchte er nach einer Möglichkeit, schnellstens seine Blöße zu verbergen, und wusste sich nicht anders zu helfen, als hastig wieder ins Bett zu hechten und sich die Decke bis zum Hals hinaufzuziehen. Dann kam ihm auf einmal zu Bewusstsein, dass Rebekka Heinrich unter eben dieser Bettdecke vermutlich ja ebenso unbekleidet war wie er selbst. Auf der Stelle rückte er so weit von ihr ab, wie ihm möglich war, ohne von der Kante zu fallen.
Die hektischen Reaktionen des Majors wirkten derartig grotesk, dass Rebekka ihre eigene Bestürzung völlig vergaß und unwillkürlich lachen musste. Allerdings nur kurz, weil fast augenblicklich ein Schwall von Schmerzen quer durch ihr Hirn raste.
»Gütiger Gott, machen Sie doch nicht so einen Lärm«, stöhnte sie, rieb sich die hämmernden Schläfen und versuchte mäßig erfolgreich, weiteres Lachen zu unterdrücken.
Konfus stammelte Pfeyfer unzusammenhängende Laute, bis er endlich einen verständlichen Satz zustande brachte. »Um Himmels willen«, stotterte er, »was habe ich getan?«
»Möchten Sie eine detaillierte Schilderung oder reicht eine Zusammenfassung?«, erwiderte Rebekka amüsiert.
Die ironische Bemerkung drang nicht zu dem erschütterten Major durch. Verzweifelt wimmerte er: »Das ist grauenvoll! Ich habe Sie entehrt!«
Rebekka verdrehte die Augen. »Überlassen Sie es doch freundlicherweise mir, darüber zu befinden, ob ich mich entehrt fühle«, versetzte sie unbeeindruckt.
»Aber – aber ich habe Sie in eine furchtbare, kompromittierende Lage gebracht!«
»Sie? Nun, meine Erinnerungen an die vergangene Nacht mögen vernebelt und fragmentarisch sein. Aber an allem, dessen ich mich entsinnen kann, waren wir beiden gleichermaßen beteiligt.«
»Demoiselle Heinrich! Ich bitte Sie!«
Sie sah ihm direkt in die Augen, und noch ehe er ihrem Blick ausweichen konnte, forderte sie ihn keck auf: »Wenn Sie anderer Ansicht sind, offenbaren Sie mir doch einfach, was Ihnen von der Nacht im Gedächtnis geblieben ist. Vielleicht bilde ich mir meine Erinnerungen ja nur ein. Freilich wäre das sehr, sehr bedauerlich.«
Pfeyfer verschluckte sich und brachte vor Husten kein Wort heraus. Doch selbst wenn er zu sprechen fähig gewesen wäre, hätte er nichts zu erwidern gewusst. Rebekka Heinrichs schockierende Äußerungen überforderten ihn.
»Übrigens finde ich diese Förmlichkeiten ein wenig unpassend, nachdem wir uns doch denkbar nahe gekommen sind. Wollen wir uns nicht duzen?«, schlug sie vor und ergänzte ihr Lächeln dabei durch einen einladenden Wimpernschlag.
»Auf gar keinen
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