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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Fensterscheiben bescheidenes Tageslicht erhielt, war verlassen. Aber der Major erkannte auf der Stelle, dass sich hier nur Minuten zuvor jemand aufgehalten haben musste. Das Aroma von Tabak hing in der Luft, nicht kalt und abgestanden, sondern noch ganz frisch.
    Nur wo sind die Leute jetzt?,
fragte er sich. Pfeyfer ließ den Blick durch den Raum schweifen, suchte nach Anhaltspunkten. Dabei bemerkte er etwas, was ihm im dämmrigen Halbdunkel zunächst entgangen war. An der hinteren Wand hing einer der Drucke, die findige Händler an der Uferpromenade feilboten. Eine große Darstellung der
Great Eastern,
die das Riesenschiff im Querschnitt zeigte. Und Pfeyfer meinte, mit Rotstift angebrachte Markierungen zu erkennen.
    Als er näher trat, sah er, dass nicht nur etwa ein Dutzend Stellen auf den verschiedenen Decks des Schiffes gekennzeichnet waren. Bei jedem der Kreuze stand auch in krummen Buchstaben:
Feuer legen.
    »Ach du Scheiße!«, stieß Pfeyfer hervor. Vieles hatte er erwartet, aber nicht das. Er versuchte noch, die Konsequenzen seiner Entdeckung zu begreifen, da rief einer der Soldaten: »Herr Major! Sehen Sie, dort!«
    Pfeyfer fuhr herum. Der Soldat deutete auf ein Fenster, das zum Fluss wies.
    Draußen entfernte sich gerade eine Dampfbarkasse mit mehreren Männern an Bord vom Anleger des Fährhauses.
    Ohne unnötig zu überlegen, riss der Major dem Soldaten das Gewehr aus den Händen, stieß die zum Steg führende Tür auf und stürzte hinaus.
    »Halt! Umkehren, das ist ein Befehl!«, brüllte er zu dem Fahrt aufnehmenden Boot hinüber.
    Ein gebieterischer Ruf ließ O’Higgins ruckartig herumfahren. »Zur Hölle!«, fluchte er, als er einen bewaffneten preußischen Offizier auf dem Anleger erblickte. »Der ist uns auf die Schliche gekommen!«
    »Pech für ihn«, erwiderte Kelly, zog den Colt und zielte. O’Higgins wollte ihn zurückhalten, doch es ging zu schnell. Kelly drückte ab.
     
    Pfeyfer sah, wie einer der Männer eine Waffe auf ihn richtete, und warf sich instinktiv zu Boden. Fast im gleichen Augenblick knallte der Schuss; wo der Major eben noch gestanden hatte, ließ die Kugel das Holz des Türrahmens splittern.
    Eilig legte Pfeyfer das Gewehr an. Ein bestimmtes Ziel anzuvisieren fehlte ihm die Zeit; er musste auf gut Glück schießen, wenn er nicht untätig bleiben und die Initiative seinen Gegnern überlassen wollte.
    Also feuerte er aufs Geratewohl in Richtung der Barkasse.
     
    Alles schien O’Higgins unglaublich langsam vor seinen Augen abzulaufen, als wollte das hereinbrechende Unheil ihn mit ausgesuchter Grausamkeit quälen. Die Kugel, die der Preuße abgefeuert hatte, durchschlug eine der Kisten. Das unscheinbare Klirren brechenden Glases war zu hören.
    Heilige Brigid, erbarme dich meiner!,
zuckte es noch durch seinen Kopf, ehe sein Geist in Erwartung des Kommenden erstarb.
    Es dauerte nur eine Sekunde, dann schossen Flammen aus der Kiste. Die plötzlich entfesselte gewaltige Hitze ließ weitere Flaschen krachend bersten, der brennende Schleim spritzte in sämtliche Richtungen und setzte innerhalb von Augenblicken das ganze Boot in Brand. Alles ging so schnell, dass die Iren nicht einmal reagieren konnten. In Windeseile erfassten die flüssigen Flammen auch ihre Kleidung und verwandelten die Männer in lebende Fackeln. Sie schrien vor Horror und Schmerzen, schlugen in Panik um sich. Zweien gelang es, ins Wasser zu springen. Doch es gab keine Rettung.
    Die Flammen erreichten die Kiste mit der Bombe. Mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag verschwand die Barkasse in einem gleißenden Feuerball.
     
    Pfeyfer presste das Gesicht auf den Boden und schützte mit den Armen seinen Kopf. Ein Schwall Wasser ging auf ihn nieder. Dann prasselten Trümmerstücke wie Hagelkörner herab. Erst als wieder Ruhe eingekehrt war, blickte er vorsichtig auf.
    Das Dampfboot war verschwunden. Nur einige Holzreste trieben auf dem aufgewühlten Wasser. Ein bläulicher Dunstschleier verströmte einen beißenden Gestank.
    Von den Männern war keine Spur zurückgeblieben.
     
    * * *
     
    »Nehmen Sie doch Platz, Demoiselle«, sagte Pfeyfer und deutete einladend auf die Sessel beim Kamin. Er hatte Kaffee bereitgestellt und ein prasselndes Feuer entfacht, denn der Abend war für karolinische Verhältnisse ungewöhnlich kalt. Am späten Nachmittag waren eisige Winde von Norden über Friedrichsburg gefegt und hatten sogar einige einsame Schneeflocken vor sich hergetrieben.
    Rebekka Heinrich dankte und ließ sich nieder.

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