Die Fahrt des Leviathan
verlängert zu haben. Sogar Tote unter den Werftarbeitern waren dieser Maßnahmen wegen zu beklagen gewesen. Die kleinkrämerische Einmischung der Geldgeber in technische Fragen hatte zu mehreren missglückten Stapelläufen geführt, und als der Rumpf dann doch noch zu Wasser gebracht worden war, hatten sie mit unablässigem Gezänk die Fertigstellung immer weiter verzögert. Das alles hatte Brunel unverschuldet dem Gespött der Öffentlichkeit preisgegeben und seine bis dahin überragende Reputation zerstört. Die Auseinandersetzungen mit den Anteilseignern und der aussichtslose Kampf gegen den Verlust seines Rufes zehrten die Lebenskraft des Ingenieurs auf. Am Tag vor der Jungfernfahrt war er an Bord seines gerade vollendeten Schiffes vom Schlag niedergestreckt worden. Er starb, ohne gesehen zu haben, wie die
Great Eastern
die Themsemündung verließ und auf das offene Meer hinausfuhr.
Seitdem, das war ein offenes Geheimnis und in allen Zeitungen zu lesen, schien das Schiff unter einem Fluch der Erfolglosigkeit zu segeln. Nie trug es auch nur annähernd genug Passagiere über den Atlantik, um wenigstens die Kosten seines Betriebs zu decken.
Jede seiner Ozeanquerungen endete für die Reederei mit einem Defizit. Der schwarze Leviathan war zu einem weißen Elefanten geworden, der unendliche Bewunderung auf sich zog, seinen Besitzer aber ruinierte und ins Unglück stürzte.
Plötzlich sah Pfeyfer vor sich nicht mehr ein großartiges Schiff. Er sah einen riesigen finsteren Schatten, der sich über alle legte, die ihre Geschicke an die
Great Eastern
banden.
Ein kalter Windstoß fegte über die Flushing Bay und kräuselte die matten Wassermassen. Pfeyfer erschauderte. Er schlug den Kragen seines grauen Uniformmantels hoch.
»Ich halte, bei allem nötigen Respekt vor den Befürchtungen Ihres Königs, ein Attentat für gänzlich ausgeschlossen, Sir«, befand Gardiner Howland. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er von dieser Feststellung aufrichtig überzeugt war.
Fast bedauerte Pfeyfer, den New Yorker Repräsentanten der Great Ship Company mit seinen Nachforschungen behelligen zu müssen. Howland wirkte blass und übernächtigt, seine Nerven waren sichtlich strapaziert. Verwunderlich war das nicht, musste er doch momentan ganz alleine die vielfältigen Folgen bewältigen, die der Unfall der
Great Eastern
nach sich zog. Bis Weisungen von der Reederei aus England eintrafen, würden noch über drei Wochen vergehen; in der Zwischenzeit war er mit allen Problemen ganz auf sich gestellt. Dass er sich trotz seiner misslichen Lage bemühte, sämtliche Fragen zuvorkommend zu beantworten, fand Pfeyfer bemerkenswert diszipliniert, besonders für einen Zivilisten.
Die beiden Männer befanden sich im Steuerhaus der
Great Eastern.
Howland war seit zwei Tagen ohne Unterbrechung an Bord des Schiffes, um die Schäden zu begutachten. Pfeyfer hatte es vorgezogen, ihn hier aufzusuchen, um ihn nicht zur zeitraubenden Rückkehr in das Reedereibüro zu nötigen. Doch so sehr der Major auch die Arbeitsmoral des Reedereiagenten schätzte, sein Urteil mochte er nicht blindlings akzeptieren.
»Wie können Sie so sicher sein, dass es sich nicht um einen Anschlag handelte?«, wollte Pfeyfer wissen.
»Ich habe gute Gründe, Sir«, versicherte Howland. Er entrollte auf dem großen Kartentisch eine Seekarte und beschwerte die Ecken mit zu diesem Zweck bereitliegenden Messinggewichten.
»Dies ist Long Island«, erklärte er. »Für gewöhnlich läuft die
Great Eastern
von Süden her in den Hafen New Yorks ein, an der Spitze Manhattans entlang. Doch bei dieser Überfahrt hatte das Schiff nicht nur Ihren König an Bord, sondern trug auch ungewöhnlich viel Fracht. Der Tiefgang war daher erheblich größer als bei den vorherigen Passagen. Hinzu kam, dass die See durch starken Wind unruhig war. Unter diesen besonderen Umständen schien es Kapitän Paton ratsam, New York ausnahmsweise auf einer anderen Route anzusteuern.«
Aufmerksam verfolgte Pfeyfer, wie Howland einen Stechzirkel zur Hand nahm und mit der Spitze den Kurs der
Great Eastern
auf der Karte nachfuhr: »Sehen Sie, Sir, der Kapitän entschied sich, Long Island nördlich zu umfahren, durch den Long-Island-Sund in den East River zu gelangen und so die Ostseite Manhattans zu erreichen. Ein Umweg, doch wegen des tieferen Fahrwassers unter diesen Bedingungen erheblich sicherer als die gewohnte Route.«
Pfeyfer nickte. »Ich verstehe. Und der Kapitän hatte diesen Entschluss
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