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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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kurzfristig gefasst, so dass niemand in der Lage gewesen wäre, einen Anschlag im Voraus zu planen?«
    »So ist es«, bestätigte Howland. »Aber das ist noch nicht alles. Hier, an dieser Stelle kollidierte das Schiff, obgleich ein Lotse an Bord war, mit dem unter Wasser befindlichen Felsen.« Er deutete mit der Zirkelspitze auf eine Stelle nahe dem Leuchtturm von Montauk Point, die durch einen mit rotem Stift gezogenen Kreis markiert war.
    »Dort streifte das Schiff den Felsen. Und wie Sie erkennen können, trägt die Karte, die wohlgemerkt auf den neuesten Vermessungen des U.S. Coast Survey beruht, keinerlei Hinweis auf ein Riff oder ähnliche Hindernisse.«
    Pfeyfer nahm die gekennzeichnete Stelle sorgfältig in Augenschein. Tatsächlich war am Ort des Vorfalls rein gar nichts in die Karte eingezeichnet. Er erkannte, was diese Tatsache bedeutete. Eine Kollision mit einem Felsen, dessen Vorhandensein bis dato unbekannt war, konnte niemand willentlich herbeiführen.
    »Das macht ein Attentat natürlich schwer vorstellbar, um nicht zu sagen: nahezu unmöglich«, meinte er.
    »Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass ein Attentäter Kenntnis von diesem unkartierten Felsen hatte und dass es ihm gelungen wäre, Einfluss auf den Kurs des Schiffes zu nehmen, hätte ihm all das dennoch nichts genützt«, betonte Howland, während er die Karte wieder zusammenrollte. »Ein schlichtes Leck kann der
Great Eastern
nichts anhaben.«
    »Mit Verlaub, Sir. Ein Loch im Rumpf lässt jedes Schiff sinken«, widersprach Pfeyfer.
    »Jedes mit Ausnahme der
Great Eastern,
Sir«, korrigierte Howland. »Als Mr. Brunel dieses Schiff entwarf, das nach seiner Vorstellung ja bis zu fünftausend Menschen gleichzeitig über die Meere tragen sollte, erachtete er es für unerlässlich, vollkommen neue Vorkehrungen für die Sicherheit so vieler Leben zu treffen.«
    Der Reedereiagent ging hinüber zum rückwärtigen Teil des Steuerhauses, wo gerahmt hinter Glas eine großformatige Darstellung der
Great Eastern
hing. Sie zeigte den Rumpf sowohl der Länge nach geöffnet als auch im Querschnitt und gestattete so einen Blick auf das verwirrend komplexe Innere des gewaltigen Schiffes.
    »Dies ist kein gewöhnlicher Eisenrumpf«, fuhr Howland fort, wobei er auf die Seitenansicht des aufgeschnittenen Schiffskörpers wies. Pfeyfer trat näher und verfolgte genau, auf welche Stellen sein Gegenüber deutete. »Vielmehr besteht er aus einer äußeren und einer inneren Hülle, zwischen denen sich ein Hohlraum von drei Fuß Tiefe befindet. Eine Erfindung von Mr. Brunel, die er eigens für dieses Schiff erdachte.«
    »Aber wozu diese seltsame, aufwendige Konstruktion?«, wollte Pfeyfer wissen. Er konnte in einem zweifachen Rumpf keinen Sinn erkennen.
    »Das ist schnell erklärt. Wird die äußere Hülle durch ein Unglück beschädigt – sei es nun die Kollision mit einem Riff oder ein Zusammenstoß mit einem anderen Schiff –, dringt das Wasser zwar in den Zwischenraum ein, nicht jedoch in das eigentliche Innere der
Great Eastern.
Es müsste schon ein Hindernis von besonderen Ausmaßen sein, das beide Hüllen aufreißen könnte.«
    Zweifelnd runzelte Pfeyfer die Stirn. »Und das funktioniert?«
    »Nun, immerhin hat die
Great Eastern
ein Riff gestreift und schwimmt noch. Das sollte doch die Richtigkeit des Prinzips hinreichend belegen. Natürlich hatte Mr. Brunel noch eine weitere, wenn auch nicht wirklich neue Sicherheitsmaßnahme getroffen. Der Rumpf ist seiner ganzen Länge nach aufgeteilt in wasserdicht gegeneinander abgeschottete Abteilungen, neunzehn an der Zahl. Damit das Schiff in Gefahr geriete zu sinken, müssten beide Rumpfhüllen auf großer Länge aufgerissen werden.«
    Pfeyfer konnte nicht anders, als Brunel Respekt zu zollen. Nicht nur für den Bau eines Schiffes dieser unvergleichlichen Größe, sondern auch für die unkonventionelle Weitsicht im Bemühen um die Sicherheit der Menschen an Bord dieses schwimmenden Kolosses. Aber ihm war nicht nur klar geworden, dass Brunel Anerkennung verdiente, sondern auch, dass er einen Anschlag auf den König als Möglichkeit ausschließen konnte.
    Ein Attentäter, der intelligent und geschickt genug gewesen wäre, den Kurs der
Great Eastern
so zu manipulieren, dass sie auf einen nur ihm bekannten Felsen lief, hätte sich zweifellos auch mit der Konstruktion des Schiffes befasst und gewusst, dass diese Kollision im Leben nicht ausreichen würde, damit die Wasser des Atlantiks König und Kronprinzen

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