Die Fahrt des Leviathan
verschlangen. Für Pfeyfer war deutlich geworden, dass hinter dem Geschehen kein planender Kopf, sondern nichts als unglücklicher Zufall stand.
Er versicherte Howland, dem König in diesem Sinne Bericht zu erstatten, und dankte für die ausführlichen Erklärungen. Der Vertreter der Great Ship Company versicherte, dass es ihm eine Ehre gewesen sei, und verließ gemeinsam mit dem Major das Steuerhaus.
Während die beiden Männer das Deck entlanggingen, fiel Pfeyfer erneut die leichte Schräglage des Schiffes auf. Er hatte die Schlagseite schon bemerkt, als er an Bord gekommen war. Aus der Distanz war der
Great Eastern
nicht anzusehen, dass sie sich ein wenig nach Steuerbord neigte, doch stand man auf ihrem Oberdeck, war offensichtlich, dass mit ihr etwas nicht stimmte.
»Ein bewundernswertes Schiff«, sagte Pfeyfer, dem derartige Äußerungen sonst nur sehr selten über die Lippen kamen.
»Bewundernswert mag es sein. Aber auch glücklos«, entgegnete Howland düster. »Mr. Brunel hatte es ausdrücklich für Fahrten nach Indien vorgesehen. Mit ihren Kohlevorräten hätte die
Great Eastern
die gesamte Strecke ohne Zwischenhalt zurücklegen können. Auf jener Route wäre sie völlig konkurrenzlos gewesen. Bedauerlicherweise hat sich das Direktorium der Great Ship Company darauf festgelegt, das Schiff im Verkehr zwischen Europa und Amerika einzusetzen, wo es ungleich ärgerem Wettbewerb ausgesetzt ist und seine Stärken nicht zur Geltung kommen. Ich verrate beileibe kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die
Great Eastern
Verluste einfährt, die neben Abmessungen und Maschinenleistung einen weiteren Superlativ darstellen.«
Er führte Pfeyfer an die Steuerbordseite des Decks.
Beim Blick über die Bordwand konnten sie einige Prahme sehen, die neben der
Great Eastern
festgemacht hatten.
Von einer kleinen Dampfmaschine mit hektisch rotierendem Schwungrad lief ein Schlauch ins Wasser; zu beiden Seiten hielten Männer in groben grauen Kitteln Seile, die ebenfalls in den trüben Fluten der Flushing Bay verschwanden.
»Dort arbeitet gerade Mr. Peter Falcon, der bekannte Taucher«, erklärte Howland. »Er inspiziert die Schäden am Rumpf. Von dem Ergebnis seiner Untersuchung hängt ab, was mit dem Schiff weiter geschieht.«
»Fraglos wird die Reederei dieses Wunderwerk der Technik schnellstens instand setzen lassen, Mr. Howland«, meinte Pfeyfer. Doch der Reedereiagent teilte seine Zuversicht nicht: »Es gibt auf dem gesamten amerikanischen Kontinent, ja auf dem gesamten Erdball kein Trockendock, das die
Great Eastern
aufnehmen könnte«, erwiderte er mit einem mutlosen Schütteln des Kopfes. »Wie soll man unter Wasser ein Leck reparieren, das sicher von einiger Größe ist? Der Aufwand wäre immens. Ich denke, wenn jetzt jemand käme und der Great Ship Company auch nur eine lächerlich geringe Summe böte, würden die Direktoren dieses vom Pech heimgesuchte Schiff auf der Stelle verkaufen. Nur ist halt niemand irrsinnig genug, sich freiwillig die
Great Eastern
aufzubürden.«
Howland seufzte niedergeschlagen. »Verzeihen Sie, Sir. Ich wollte Sie nicht mit meinen trübsinnigen Gedanken behelligen. Sie können Ihrem König ruhigen Gewissens berichten, dass ihm niemand nach dem Leben getrachtet hat. Ich vermute, Sie sind mit dem Resultat Ihres Aufenthalts hier zufrieden?«
»Das bin ich in der Tat«, bestätigte Pfeyfer und reichte Howland die Hand. »Ich bin Ihnen für Ihr freundliches Entgegenkommen zu Dank verpflichtet. Sie haben meinem König und somit meinem Land einen wertvollen Dienst erwiesen. Sollte es etwas geben, womit wir unserer Anerkennung Ausdruck verleihen können, zögern Sie bitte nicht, es mich wissen zu lassen.«
Howland nötigte sich ein entschieden bitter wirkendes Lächeln ab und schwieg einen Moment, ehe er antwortete: »Ihr König hat nicht zufällig noch eine freie Stellung zu vergeben? Ich habe nämlich so eine Ahnung, dass es meinen Posten hier nicht mehr lange geben wird …«
* * *
Schon seit dem Morgen schlenderten die beiden Lehrerinnen durch die Straßen Friedrichsburgs. Amalie ließ sich von der Direktorin die Stadt zeigen und konnte sich nicht sattsehen. Die anmutige Schönheit der Bauten, die fremdartigen Pflanzen und nicht zuletzt der Anblick der Menschen, die von so unterschiedlicher Herkunft und Aussehen waren: Alles das fesselte sie immer wieder aufs Neue.
Nun hatten die Frauen den Ort erreicht, der vielleicht nicht topographisch, aber gewiss seiner Bedeutung nach
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