Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
Vom Netzwerk:
sprechen würde.«
    »Sehr gerne. Aber erst habe ich dir noch etwas mitzuteilen. Meine liebe Therese, wir machen uns hoffentlich nicht grober Unhöflichkeit schuldig, wenn wir uns für einige Minuten zurückziehen?«
    »Aber keineswegs«, versicherte Therese Ewers, um dann mit einem wissenden Zwinkern hinzuzusetzen: »Manchmal bedarf man halt der Einsamkeit zu zweit.«
    Amalie dankte der Lehrerin für ihr Verständnis, nahm Täubrich am Arm und führte ihn aus dem dicht mit Menschen angefüllten Salon. Die Bibliothek, sagte sie ihm, würde sicherlich ein vertrauliches Gespräch ohne Zuhörer ermöglichen. Bestimmt hielte keine Menschenseele sich dort auf.
     
    Nur die niedrige Brüstung, kaum hüfthoch, trennte Healey von der Erlösung. Das offene Fenster, auf dessen anderer Seite es zwölf Fuß in die Tiefe ging, erschien ihm wie eine verheißungsvolle Einladung. Um sie anzunehmen, brauchte er nichts weiter zu tun, als auf die Fensterbank zu steigen und sich vornüber in die Schwärze fallen zu lassen. Es war so einfach.
    Mit beiden Händen fasste er den Rahmen, um auf das Fensterbrett zu steigen. Eine wohlige, leere Leichtigkeit ergriff Besitz von seinem Inneren.
    Dann aber hörte er, wie die Tür zur Bibliothek geöffnet wurde. Schlagartig erstarrte Healey. Niemand durfte ihn in seinem Versteck bemerken. Selbst im Schutz der Vorhänge war es ihm völlig unmöglich, jetzt zu springen. Dies war sein Moment, er wollte ihn ganz für sich alleine haben. Niemand durfte ihm die Einsamkeit seines Endes streitig machen. Er beschloss, sich nicht zu rühren, sondern zu warten. Flach und lautlos ging sein Atem.
     
    Amalie von Rheine betrat mit Georg Täubrich die Bibliothek. »Niemand da, wie ich mir dachte«, stellte sie zufrieden fest und schloss die Tür. »Wir können also unbehelligt reden.«
    »Furchtbar kalt ist es hier. Das Fenster muss sperrangelweit offen sein. Ich mache es lieber zu«, sagte der Doktor und streckte schon die Hand nach dem Vorhang aus.
    Doch Amalie hielt ihn zurück: »Bitte nicht, ich finde es angenehm so. Im Salon war es durch die vielen Leute schrecklich stickig, da ist die kühle Nachtluft sehr erfrischend. Also, was möchtest du mir Wichtiges erzählen, Georg?«
    »Ich lasse dir den Vortritt. Vermutlich ist das, was dir auf der Zunge brennt, sowieso bedeutsamer.«
    Amalie nickte; ihre Miene wurde sehr ernst. »Das ist es sicher. Du würdest mich gerne heiraten?«
    Mit dieser Frage hatte Täubrich nicht gerechnet, schon alleine deswegen nicht, weil er stets fest davon ausgegangen war, dass es ihm zukommen würde, sie eines Tages zu stellen. Es dauerte einen Augenblick, bis er sein Erstaunen überwunden hatte. Dann aber leuchteten seine Augen auf und er antwortete enthusiastisch: »Ja! Ja, das ist mein Herzenswunsch! Nichts auf der Welt möchte ich mehr.«
    »Auch ich wünsche mir nichts sehnlicher, Georg«, erwiderte Amalie. Der Ernst in ihren Zügen wich kurz einem Ausdruck des Glücks, der aber umgehend wieder verschwand, als sie fortfuhr: »Doch der preußische Staat verwehrt uns die Heirat.«
    »Verwehrt? Wie meinst du das?«
    »Lehrerinnen im Staatsdienst müssen ledig sein, so verlangt es das Ministerium.« Ihre Ausführungen waren klar und sachlich, in ihrer Stimme aber vibrierten Bitterkeit und aufgestaute Wut, die mit jedem Wort deutlicher an die Oberfläche traten. »Geht eine Lehrerin dennoch die Ehe ein, muss sie aus dem Schuldienst scheiden und verliert die Lehrerlaubnis, unwiderruflich!«
    »Lassen die Vorschriften denn keinerlei Ausnahmen zu?«, wollte der bestürzte Täubrich wissen.
    Amalie schüttelte entschieden den Kopf. »Keine. Gott weiß, ich will deine Frau werden. Aber wenn wir heiraten, darf ich nicht mehr als Lehrerin arbeiten. Wir stehen vor einem Dilemma.«
    »Und wenn ich dir nun sage, dass ich mit einer perfekten Lösung für dieses Dilemma aufwarten kann?« Täubrichs Mundwinkel hoben sich, und seine Stimme ließ an einen Zauberkünstler denken, der seinem Publikum einen besonders spektakulären Trick ankündigte.
    »Du machst Witze!«, staunte Amalie. Dass Täubrich spontan aus dem Ärmel zu ziehen vermochte, wonach sie wochenlang vergeblich gesucht hatte, erschien ihr zu phantastisch, um wahr zu sein. Trotzdem schöpfte sie Hoffnung. Vielleicht hatte ihr ja die Jagd nach einem nur durch komplexe juristische Winkelzüge auffindbaren Schlupfloch den Blick auf das Naheliegende verstellt. »Erzähl doch schon, wie sieht deine Lösung aus?«, drängte sie ihn

Weitere Kostenlose Bücher