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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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erwartungsvoll.
    »Wir müssen mit der Hochzeit ganz einfach noch zwei Jahre warten«, antwortete er freudestrahlend. »Dann nämlich tritt mein alter Doktorvater in den Ruhestand. Er will mir seine Praxis mitsamt allen Stammpatienten überlassen. Das bedeutet, ich werde in der Folge mehr als genug verdienen.«
    Erst nur befremdet, dann sichtlich verstimmt, starrte Amalie ihn an. Zwischen ihren Augenbrauen wölbte sich als stumme Warnung eine Falte. »Wie soll ich denn das verstehen?«
    Ihre Reaktion überraschte Täubrich. Er nahm an, sich ungeschickt ausgedrückt zu haben, und versuchte, die Umstände besser darzulegen: »Was ich damit sagen wollte – ich werde dann finanziell so gut gestellt sein, dass der Verlust deiner Stellung gar nicht mehr ins Gewicht fällt. Ist das nicht wunderbar?«
    Amalie lief zornesrot an und schlug die flache Hand so fest auf den Tisch, dass die Sektgläser grell klirrten. »Wunderbar nennst du diese perfide Beleidigung? Ich kann nicht glauben, dass du so etwas von dir gibst!«
    Unwillkürlich zuckte Täubrich zurück. »Ich … ich verstehe nicht«, stotterte er verunsichert. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Etwas Falsches? Oh nein, du hast mir nur einen Tritt versetzt. Du denkst also, ich bin allein meines Lebensunterhaltes wegen Lehrerin geworden und gebe diesen Beruf freudig auf, wenn ich endlich geheiratet werde. Wie es ein anständiges, braves Fräulein halt tut, nicht wahr?«
    »Aber … ich … ist es denn nicht so?«, stammelte der Arzt. Amalies Rage hatte ihn so unerwartet getroffen, dass er kaum denken konnte. »Warum sollte eine Frau denn arbeiten wollen, wenn sie einen Mann findet, der –«
    »Das reicht! Ich ertrage das nicht länger!«, schrie Amalie ihn an. Wutentbrannt riss sie die Tür auf und stürmte aus dem Raum.
    Täubrich blieb allein zurück. Er war unfähig, sich von der Stelle zu rühren, und verharrte benommen auf dem Fleck. Ihm dämmerte, dass er einen unglaublich großen Fehler begangen hatte. Nur welchen, verstand er noch immer nicht.
    Einige Minuten blickte er benommen auf die offen stehende Tür, ohne wirklich etwas wahrzunehmen, bis Rebekka Heinrich den Raum betrat. Täubrich konnte ihr ansehen, dass sie bereits über den Vorfall im Bilde war.
    »Ich denke, es ist besser, wenn Sie gehen, Georg«, ließ sie ihn wissen, ohne einen Vorwurf durchklingen zu lassen.
    »Erklären Sie mir doch wenigstens, was ich verkehrt gemacht habe«, bat er ratlos.
    »Das will ich Ihnen sagen. Sie haben Amalie zutiefst verletzt. Sie ist ganz allein aus aufrichtiger Hingabe Lehrerin geworden. Mit Beharrlichkeit und Herzblut hat sie unzählige Widerstände überwunden, weil sie überzeugt ist, dass Mädchen dieselbe Bildung wie Knaben empfangen sollten. Und dann kommen Sie daher und erklären kurzerhand alle ihre Ideale, Mühen und Beweggründe für nichtig. Wundern Sie sich wirklich, dass sie wütend ist?«
    »Aber ich hatte doch keine Ahnung, wie wichtig ihr all das ist!«, verteidigte Täubrich sich. »Sie hat nie über ihre Motivation gesprochen.«
    Als wäre sie uneins mit sich, ob sie ihm Ärger oder Mitleid entgegenbringen sollte, legte Rebekka die Stirn in Falten. »Sie mögen vielleicht genau über den menschlichen Körper und seine Funktionen Bescheid wissen«, sagte sie und ihr Bedauern für den niedergeschmetterten Doktor gewann hörbar die Oberhand. »Wie Frauen denken und handeln hingegen, ist Ihnen zweifellos ein Buch mit sieben Siegeln. Natürlich ging Amalie davon aus, dass Sie hinreichend Empathie besäßen, um alles nicht ausdrücklich Gesagte, alles nicht haarklein Ausgebreitete aus ihrem Verhalten zu erschließen und die tausend kleinen Andeutungen aufzunehmen, mit denen sie sich unablässig offenbart. Wie mir scheint, hat sie sich geirrt.«
    Nun begann Täubrich zu erfassen, wie herabwürdigend seine Worte in Amalies Ohren geklungen haben mussten. Er wollte zu ihr eilen und inständig um Vergebung bitten, doch Rebekka machte ihm klar, dass sie ihn nicht anhören würde.
    »Sie will Sie nicht mehr sehen«, ließ sie den Arzt wissen und klang nunmehr sehr bedrückt. »Das soll ich Ihnen ausrichten … und Sie auffordern, das Haus zu verlassen und nicht wiederzukommen.«
    »Das kann unmöglich Amalies Ernst sein!«
    »Ich fürchte, doch. Geben Sie ihr Zeit, Georg. Vielleicht ist sie ja gewillt, Ihnen Gehör zu schenken, wenn sich die Wogen ihrer Empörung ein wenig geglättet haben«, versuchte sie dem Doktor Mut zuzusprechen. Doch ungewollt verriet

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