Die Fahrt des Leviathan
ihr Tonfall, wie gering sie diese Chance einschätzte.
Täubrich wollte etwas einwenden, aber ihn verließ der Mut, bevor er den Mund öffnen konnte. Niedergeschmettert fügte er sich in das Unabänderliche.
»Kommen Sie. Es ist nicht gut, wenn Sie hierbleiben und sich quälen«, meinte Rebekka mitfühlend.
Stumm nickte Täubrich. Die Direktorin verließ mit ihm die Bibliothek und zog die Tür hinter sich zu.
Einige Sekunden verstrichen. Dann sprang Alvin Healey hinter den Vorhängen hervor und stieß einen Freudenschrei aus.
Washington D.C.
Abraham Lincoln starrte sein Gegenüber so entgeistert an, dass Benjamin van Bloemendaal glaubte, der Blick aus dem Auge des schlagartig erbleichten Präsidenten müsste ihn im nächsten Moment durchbohren wie eine Degenklinge.
»Sagen Sie mir in Gottes Namen, dass Sie nur scherzen«, forderte ihn der schreckensgezeichnete Lincoln tonlos auf.
»Mr. President, ich verstehe nicht …«, begann der Konsul verwirrt. Er verstellte sich keineswegs; die Reaktion auf seine Ausführungen war ihm wirklich absolut unerklärlich. Natürlich hatte er während der eintägigen Schiffsreise von Friedrichsburg nach Washington ständig darüber nachgedacht, wie der Präsident seinen Bericht wohl aufnehmen würde. Ein gewisses Maß an Enttäuschung über das Scheitern des Unternehmens in Verbindung mit Lob für sein entschlossenes Handeln war ihm dabei letztlich am wahrscheinlichsten erschienen. Darauf war er auch eingestellt gewesen, als er dann während des Silvesterballs im Weißen Haus Lincoln um eine kurze vertrauliche Unterredung gebeten hatte. Doch im Leben hätte er ein solches Aufbrausen des ansonsten für seine unerschütterliche Gelassenheit bekannten Präsidenten nicht vorausahnen können.
»Sie haben versucht –«, platzte Lincoln aufgebracht heraus, entsann sich dann aber, dass seine Stimme vielleicht durch die Tür des Arbeitszimmers nach draußen dringen könnte und wurde augenblicklich leiser. Gedämpft, doch weiterhin vernehmbar ungehalten, fuhr er fort: »Der missglückte Anschlag auf die
Great Eastern,
von dem in den Zeitungen zu lesen war, ging also auf Ihre Initiative zurück?«
»So ist es, Mr. President«, bestätigte Bloemendaal. »Und ich bedaure außerordentlich, dass dem Vorhaben kein Erfolg beschieden war. Doch es ist nichts verloren. Eine Handvoll entschlossener Männer könnte das Schiff noch immer unschädlich machen. Ich werde daher gleich morgen einige verlässliche Leute rekrutieren, die –«
»Sie werden nichts dergleichen tun, Sir«, schnitt Lincoln ihm barsch das Wort ab. »Ich untersage jedes derartige Vorgehen.«
»Aber Mr. President! Dieses Schiff ist von unermesslichem Wert für die Rebellen. Wir können unmöglich zulassen, dass es Tausende Ballen Baumwolle nach Europa bringt«, wandte der Konsul ein.
»Das ist mir durchaus bewusst. Aber als Diplomat, Mr. van Bloemendaal, sollten Sie die Gefahren kennen, die ein solcher Plan mit sich bringt. Niemand kann garantieren, dass die Urheberschaft verborgen bleibt. Und wenn durch unglückliche Fügung ruchbar werden sollte, dass die Vereinigten Staaten für die Versenkung eines preußischen Schiffes in einem preußischen Hafen verantwortlich sind … Nein, das dürfen wir nicht riskieren.«
Bloemendaal stutzte. Der Präsident, blass und mit dem gesunden Arm fahrig gestikulierend, schien ihm von der Möglichkeit diplomatischer Unstimmigkeiten mit Berlin unverhältnismäßig stark beunruhigt zu sein. Das erboste ihn insgeheim. Seiner Überzeugung nach hatte die Rücksichtnahme gegenüber den Befindlichkeiten einer europäischen Regierung in den Hintergrund zu treten, wenn die Interessen der Vereinigten Staaten auf dem Spiel standen. Angesichts des Schadens, den die Konföderierten mit dem Schiff anrichten konnten, nahm sich in seinen Augen das schlimmstenfalls zu erwartende diplomatische Zähnefletschen der Preußen bedeutungslos aus. Und er hatte vor, das auch dem Präsidenten deutlich zu machen.
»Mr. President, die Konföderierten dürfen keinen Nutzen aus Schiff und Ladung ziehen!«, unternahm er einen neuerlichen Anlauf, indem er mit besonderem Nachdruck sprach. »Da Sie es aus verständlichen Gründen nicht im Friedrichsburger Hafen zerstört sehen wollen, müssen Sie es auf hoher See von einer Fregatte abfangen und versenken lassen.«
Dieser Vorschlag ließ für einen Moment jegliche Farbe aus Lincolns Gesicht weichen, so dass er einige Sekunden lang weiß wie Kalk war. Unwillkürlich
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