Die Fahrt des Leviathan
erschauderte Bloemendaal, den sonst nichts zu entsetzen vermochte, bei diesem geisterhaften Anblick.
»Ein preußisches Handelsschiff, versenkt durch eines unserer … Himmel! Das käme einer Kriegserklärung an Preußen gleich!«, keuchte Lincoln, dem dieser Gedanke hörbar die Kehle zuschnürte.
»Mr. President! Das ist völlig unerheblich, Preußen kann keinen Krieg gegen uns führen«, legte der Konsul eindringlich dar. »Es hat keine nennenswerte Marine, keine mächtigen Verbündeten, keine Möglichkeit, uns zu attackieren. Wie sehr wir die Preußen mit der Versenkung auch zur Weißglut treiben, sie sind machtlos. Ich beschwöre Sie, geben Sie Befehl –«
»Nein!« Lincolns Tonfall war unnachgiebig. »Wir werden nichts tun, wodurch wir uns die Feindschaft Preußens zuziehen könnten. Habe ich mich unmissverständlich ausgedrückt, Sir?«
Wut stieg in Bloemendaal auf. Zu gerne hätte er dem Präsidenten ins Gesicht gesagt, dass er an dessen Geisteszustand zweifelte. Wusste der nicht, begriff er nicht, dass sich ohne sein Eingreifen die Baumwolle an Bord der
Leviathan
in Waffen verwandelte? Waffen, die zahllose Unionssoldaten töten oder zu Krüppeln machen würden, vielleicht sogar den Triumph der Rebellen herbeiführten? Was war dagegen schon der folgenlose Groll eines europäischen Königreichs?
Fast war er versucht, darin keine Unfähigkeit zu vermuten, sondern ein undurchsichtiges Kalkül, das in verdächtige Nähe zum Verrat rückte. Er stand kurz davor, den Präsidenten in einer Aufwallung von Zorn zum Duell zu fordern.
Doch der Konsul biss die Zähne zusammen und versicherte, die Anweisungen verstanden zu haben. Dann bat er darum, sich empfehlen zu dürfen, und verließ schnellen Schrittes das Arbeitszimmer. Erheblich fester als angebracht schlug er die Tür hinter sich zu.
Friedrichsburg
»Es ist vollbracht, Gentlemen«, verkündete Jeremiah Weaver voller Stolz. »Übermorgen wird der letzte Ballen Baumwolle an Bord der
Leviathan
gebracht, und am darauffolgenden Tag tritt sie ihre Reise an, um der Konföderation den Sieg und South Carolina die Freiheit zu bringen. Auf das Jahr 1863, das verheißungsvoll vor uns liegt!«
Die führenden Männer der NeitherNors, die Weaver während seiner Silvestergesellschaft in den Rauchsalon seines Stadthauses gebeten hatte, stimmten in seinen Toast ein und erhoben die Champagnerkelche. Sie waren bestrebt, ihrer Begeisterung nicht allzu lautstark Ausdruck zu verleihen. Noch war Verschwiegenheit geboten; die im benachbarten Spiegelsaal Walzer tanzenden anderen Gäste durften nichts Verräterisches vernehmen.
»Auf 1863, das Jahr des Südens!«, sagte Franklin Potter. Selbst jetzt, da ihn Überschwang erfasst hatte, wirkte der hagere Advokat wie ein nach Beute spähender Falke. »Und auf die Männer, die uns dieses Jahr schenken. Hoch leben unser Gastgeber Mr. Weaver, Charles Beaulieu sowie Kaiser Franz Josef von Österreich.«
Zustimmende Hochrufe wurden ausgebracht. Weavers schwammiges Gesicht ließ ein zufriedenes Lächeln erkennen, doch er winkte in demonstrativer Bescheidenheit ab: »Was meine Person angeht, so ist es zu viel der Ehre, Gentlemen. Ich habe wenig beigetragen, ungleich weniger als der höchst verdienstvolle Mr. Beaulieu , der ja an diesem Abend bedauerlicherweise nicht bei uns weilen kann, da er gesellschaftlichen Verpflichtungen in Richmond nachkommen muss. Auf ihn wollen wir darum trinken.«
Die Gläser wurden geleert und sogleich wieder aufgefüllt, denn der Abend verlangte nach dem erhebenden Prickeln von Champagner. Keiner der anwesenden NeitherNors konnte sich entsinnen, jemals eine Silvesternacht in so gehobener Stimmung erlebt zu haben. Alle waren gewiss, dass die Kirchenglocken um Mitternacht das Jahr einläuteten, auf das sie so lange gewartet hatten. Das Jahr, in dem der schwarze Adler Preußens vom Himmel South Carolinas stürzte.
Der kahlköpfige kleine Bankier Francis Yeoman stieß mit Weaver an. »Sagen Sie, was Sie wollen, auch Ihnen schuldet der Süden Dank«, beharrte er und ließ keinen Widerspruch gelten. »Es ist zu traurig, dass Ihr Bruder das nicht mehr erleben darf, er wäre überglücklich.«
Weavers Lächeln verschwand, vertrieben von schmerzhaften Erinnerungen. »Ja, das stimmt. Ich wünschte, Nathaniel wäre noch unter uns«, entgegnete er schwermütig. Jedoch unterdrückte er seine Melancholie sofort wieder und tönte: »In seinem Sinne will ich dazu beitragen, der Herrschaft dieser krautfressenden Clowns und
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