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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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anderen Schmuckstücken gestanden hatte, wirkte es nun, da es ganz für sich alleine stand.
    Die drei Frauen blickten hingerissen auf das Geschmeide. Keine von ihnen hatte etwas so Herrliches und Kostbares erwartet. Es verstrich ein Moment, bis die vollkommen überwältigte Amalie sich des Zettels in ihrer Hand entsann. Nur unwillig löste sie ihre Blicke von dem Armband, entfaltete das Schreiben und las die wenigen Zeilen.
    Ihr Gesicht wurde jählings aschfahl, ihre Augen waren schreckerfüllt. Der Brief glitt ihr zusammen mit der Schatulle aus der Hand, beides fiel zu Boden. Ihre Stimme überschlug sich bis zur Unverständlichkeit. Rebekka war darüber so erschrocken, dass sie für einen Augenblick erstarrte. Dann jedoch bückte sie sich schnell nach dem Zettel. Sie musste wissen, was darin Fürchterliches stand. Eilig überflog sie die kurze Mitteilung:
     
    Geliebte Amalie! Ich fahre als Schiffs=Arzt auf der »Leviathan« nach Hamburg. Von dort werde ich euch schreiben, damit ihr erfahrt, welche Ladung tatsächlich an Bord genommen wird. Dieses Wissen sollte euch, insbesondere Fräulein Heinrich, von einigem Nutzen sein. Auf der Retourfahrt dann werde ich tun, was immer in meiner Macht steht, damit das Schiff auf den Grund des Oceans sinkt und der Conföderation niemals dienlich sein wird. Sollte ich nicht mehr heimkehren, so ist meine einzige Bitte, daß Du mir verzeihst und meiner nicht vergißt. In ewiger Liebe, Dein Georg.
     
    »Grundgütiger«, keuchte Rebekka bestürzt, »das ist –«
    Sie stockte. Erst jetzt ging ihr auf, dass die
Leviathan
Hamburg ja niemals erreichen, nicht einmal die Bucht von Friedrichsburg verlassen würde. Major Pfeyfer stand schon bereit, um das Schiff mit einer Granate in einen lodernden Höllenofen zu verwandeln. Das war es, was Amalie den Schock versetzt hatte.
    Wertvolle Sekunden verrannen, während die beiden Frauen vor Entsetzen wie versteinert verharrten und sich in blanker Panik gegenseitig anstarrten. Dann aber packte Amalie die Direktorin plötzlich am Arm. »Wir müssen ihn unter irgendeinem Vorwand von Bord holen!«, schrie sie und riss Rebekka mit sich. »Zum Hafen, bevor das Schiff ablegt!«
    Sie stürzten zur Tür und ließen Gerda zurück, die ihnen verstört nachblickte. Sie verstand überhaupt nichts von dem, was geschah. Dennoch erschauderte sie.
     
    * * *
     
    Strengäugig inspizierte Pfeyfer die Korporalschaft, die bei den Geschützbatterien zum Befehlsempfang angetreten war. Die fünfzehn Artilleristen der Festungsbesatzung waren Schwarze, Weiße und Mulatten verschiedener Schattierungen; der kommandierende Sergeant war sogar von noch dunklerer Hautfarbe als der Major. In den gleichen blauen Uniformen, auf den Köpfen Helme mit runden Aufsätzen statt der sonst üblichen Spitzen, standen sie nebeneinander stramm, geeint durch die Furcht vor einem scharfen Tadel für nachlässige Haltung oder einen Fleck auf den Stiefeln.
    In Wahrheit hatte Pfeyfer nicht vor, Verweise zu erteilen. Das Damoklesschwert, das er über den Soldaten baumeln ließ, diente allein der Abrundung seines Auftritts.
    Er schritt die Reihe ab und gab vor, Knöpfe und Koppel auf vorschriftsgemäße Perfektion hin zu prüfen.
    Die Korporalschaft, die mit ihrer Vermengung von Weiß und Schwarz so typisch war für Karolina, wirkte auf Pfeyfer seltsam idyllisch. Es schien , als wäre der Zwist, der entlang der Trennlinien zwischen den Rassen aufflammte, nicht bis an diesen abgeschiedenen Ort vorgedrungen. Doch der Major wusste, wie sehr der äußere Eindruck täuschen konnte. Vielleicht waren auch diese Männer längst infiziert von der Seuche, die ganz Karolina zu erfassen drohte. Vielleicht bewirkten nur die über Jahre eingebläute Disziplin und die abstumpfende Routine des Gamaschendienstes, dass sie sich bislang nicht in offener Feindseligkeit untereinander belauerten. Vielleicht würden sie sich schon morgen in nacktem Hass gegenüberstehen. Aber heute gehorchten sie noch.
    Pfeyfer hatte das Ende der Reihe erreicht, demonstrierte durch ein wortloses Nicken Zufriedenheit und warf einen raschen Blick über die Brustwehr. Auf eine halbe Meile Distanz konnte er zwar selbst an diesem klaren Tag nicht genau erkennen, was im Neuen Hafen geschah; aber er sah ganz deutlich eine schmutziggraue Rauchwolke, die nur aus den fünf Schloten der
Leviathan
quellen konnte. Ihre Dampfmaschinen waren in Gang gesetzt worden.
    Der Würfel ist geworfen,
dachte Pfeyfer. Er spürte, dass seine linke Hand zu

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