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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Körpers.
     
    Rastlos wanderte Pfeyfer mit den Händen auf dem Rücken in der Bibliothek hin und her, während Amalie und Rebekka am Tisch saßen, die vor Sorgen schweren Köpfe in die Hände gestützt. Seit über zwei Stunden zermarterten sie sich bereits die Hirne, doch noch immer hatten sie keinen Weg gefunden, Täubrich vor dem beinahe sicheren Tod zu bewahren.
    »Ich könnte ihm einen Brief nach Hamburg senden«, schlug Amalie vor. »Wenn ich Georg beknie, seinen selbstmörderischen Plan aufzugeben und sich keiner Gefahr auszusetzen, wird er sein Vorhaben gewiss aufgeben.«
    »Und wenn dieser Brief in die falschen Hände gerät, ist er ein toter Mann«, erwiderte Pfeyfer, ohne stehen zu bleiben. »Kapitän Hendricks ist kein Dummkopf. Er wird misstrauisch genug sein, eintreffende Post zu kontrollieren. Es ist uns nicht möglich, Kontakt zum Doktor aufzunehmen. Sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Uns sind die Hände gebunden.«
    Rebekka blickte auf und erwiderte trotzig: »Ich weigere mich, das zu akzeptieren! Irgendwas müssen wir tun können.«
    Nun erst hielt der Major inne, runzelte skeptisch die Stirn und fixierte die Direktorin: »Für Täubrich? Für den können wir nur noch beten. Und Vorbereitungen treffen für den Fall, dass seine Absichten vorzeitig entdeckt werden und er zu Tode kommt, ehe es ihm gelingt, das Schiff zu versenken.«
    Das war zu viel für Amalie. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und brach schlagartig in hemmungsloses Schluchzen aus. Sogleich versuchte Rebekka, die Verzweifelte zu trösten.
    »Das – das tut mir schrecklich leid«, versicherte der Major beschämt, als er die Wirkung seiner deplatzierten militärischen Direktheit ansehen musste. »Es lag mir fern – ich meine, es war nicht meine Absicht …«
    »Das wäre ja auch noch schöner gewesen, du gefühlloser Klotz«, unterbrach Rebekka ihn strafend und gab ihm so zu verstehen, dass es besser wäre, wenn er für eine Weile schwieg.
    Ein Klopfen an der Tür verhinderte, dass Pfeyfer sich mit weiteren unbeholfenen Entschuldigungsversuchen in neuen Fallstricken verfing. »Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein«, war Gerdas vorsichtig tastende Stimme von der anderen Seite zu hören. »Herr Healey bittet empfangen zu werden. Da Sie ungestört zu sein wünschten, weiß ich nicht recht, was ich ihm sagen soll.«
    Rebekkas erster Impuls war, den unangekündigten Besucher unter Verweis auf ein leichtes Unwohlsein höflich wieder fortschicken zu lassen. Aber bei zweitem Nachdenken entschied sie sich anders. Vielleicht konnte Healey ja erklären, wie es dazu gekommen war, dass sich nun ausgerechnet Georg Täubrich als Schiffsarzt an Bord der
Leviathan
befand.
    »Ich lasse bitten«, antwortete sie nach kurzem Überlegen.
     
    Nervös stand Healey vor dem Spiegel im Flur und richtete sich die bereits perfekt sitzende Krawatte. Das Herz schlug ihm bis zum Halse und seine Beine fühlten sich an, als stünde er auf Pudding. Dennoch war er guter Dinge. Ja, ihm war, als müsste er unweigerlich vor Freude platzen.
    Den Strauß hatte er bereits vom Seidenpapier befreit. Um ein Haar wäre ihm der Fauxpas unterlaufen, Fräulein Amalie die Blumen nach amerikanischem Brauch eingewickelt zu überreichen.
    Doch glücklicherweise hatte er sich gerade noch zur rechten Zeit die deutsche Etikette ins Gedächtnis rufen können und war so einer Blamage entgangen.
    Noch immer nestelte Healey unruhig an der Krawatte herum, als Gerda zurückkehrte und ihm mitteilte, dass das Fräulein Direktorin und das Fräulein Lehrerin ihn empfangen würden. In diesem Augenblick fiel alle Unruhe und Unsicherheit von ihm ab; ihm war zumute, als könnte er die Welt mühelos auf einer Fingerspitze balancieren. Healey lächelte und ließ sich von dem Hausmädchen zur Bibliothek führen, wobei er im Geiste ein letztes Mal die Worte repetierte, mit denen er Amalie von Rheine seine tiefe Zuneigung gestehen wollte.
    Doch als er den Raum betrat, stellte er zu seiner Ernüchterung fest, dass er offenbar zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt gekommen war. Zum einen irritierte ihn die Anwesenheit Wilhelm Pfeyfers. Mit Rebekka Heinrichs Gegenwart hatte er natürlich fest gerechnet, aber er war nicht erpicht darauf, seine Gefühle ausgerechnet im Beisein des Majors offenzulegen.
    Nun hätte er sich von diesem Hindernis alleine nicht aufhalten lassen. Doch er bemerkte auch, dass alle von einer merkwürdigen Niedergeschlagenheit erfasst waren und sehr betrübt schienen. Am

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