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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Äußerungen eröffneten bisweilen kurze Einblicke in Abgründe der Seele, die Täubrich Albträume verursachten. Beim letzten Abendessen hatte er, zum blanken Entsetzen der übrigen Schiffsoffiziere am Tisch, ausführlich dargelegt, was er mit einem bestimmten Unionskapitän zu tun gedachte, sollte er seiner je habhaft werden. So bestialisch waren die in allen blutrünstigen Einzelheiten ausgebreiteten Rachephantasien, dass der keineswegs zartbesaitete Dritte Offizier aufgesprungen und aus dem Raum gerannt war, weil er sich erbrechen musste.
    Schon die Erinnerung an den vergangenen Abend verursachte Täubrich ein flaues Gefühl in der Körpermitte. Er begab sich eilends zum Ende des Ganges und stieg die Treppe zum Oberdeck hinauf. Falls sich sein Innerstes nach außen kehrte, sollte es lieber an der Reling geschehen als in den stickigdumpfen Eingeweiden des Schiffes.
     
    Auf dem Oberdeck beruhigte sich Täubrichs Magen nach einer Weile wieder. Der Doktor ging umher und sog die salzige, kalte Seeluft tief ein. Im Freien fühlte er sich bedeutend wohler als umgeben von den Wänden seiner Kabine, die ihn unangenehm an einen Sarg erinnerte. Je länger er dem gleichmäßigen Geräusch der sich unermüdlich drehenden gewaltigen Schaufelräder, dem Kreischen der Möwen zwischen den Mastspitzen und dem singenden Heulen des Windes in der Takelage lauschte, desto mehr verblasste der Ekel.
    Während er das Deck entlangschritt, dessen Länge und Breite ihn selbst nach zehn Tagen immer noch überwältigten, zog er ein Resümee seiner bisherigen Beobachtungen. Er hatte das Schiff mit offenen Augen erkundet und glaubte nun zu wissen, auf welche Weise es sich versenken ließ. Nur durch Feuer konnte er dem eisernen Giganten beikommen. Feuer war mehr noch als Riffe oder Stürme der ärgste Feind aller Schiffe, und ganz besonders galt das für Dampfer. Entzündete sich die Kohle in den Bunkern, war ein Dampfschiff verloren. Und wenn die Hitze überdies den Kohlenstaub zur Explosion brachte, zerbarsten selbst eiserne Rümpfe wie aufgeblasene Papiertüten.
    Über die Grundzüge seines Plans war Täubrich sich schon im Klaren. In Hamburg wollte er einige Substanzen erwerben, die jede Apotheke führte und die für Außenstehende unverfänglich wirkten. Mit den Kenntnissen der Chemie, über die er als Mediziner verfügte, war es ihm leicht möglich, daraus hinreichend wirkungsvolle Brandsätze anzumischen.
    Und was dann?,
fragte er sich.
Wie kriege ich die Dinger unbemerkt in die Kohlebunker? Und wenn ich das geschafft habe, wie bringe ich mich selbst danach in Sicherheit?
    Zwar war Täubrich durchaus bereit, für die gute Sache nötigenfalls auch sein Leben zu lassen und sich auf diese Weise in Amalies Augen zu rehabilitieren. Aber erheblich lieber noch wollte er nach vollbrachter Tat lebend zu ihr zurückkehren. Die erste Wahl stellte der Heldentod für ihn keineswegs dar.
    Ich finde einen Weg. Ich werde dieses Schiff versenken, aber ich werde nicht mit ihm untergehen. Auf gar keinen Fall!
Es musste eine Lösung existieren, und er war fest entschlossen, sie ausfindig zu machen.
    Am zweiten Schornstein sah Täubrich eine Handvoll Männer müßig herumstehen. Sie gehörten zu einer Gruppe von fünfundzwanzig Leuten, die bis an die Zähne mit einem Sammelsurium von Colts, Gewehren und alten Säbeln bewaffnet waren. Der Arzt hielt sich nach Möglichkeit fern von ihnen, denn sie setzten abschätzige oder sogar feindselige Mienen auf, wenn er in ihre Nähe kam. Einige von ihnen kannte er; sie zählten zum Dunstkreis Jeremiah Weavers und waren lautstarke Wortführer in gewissen Kreisen der englischsprachigen Minderheit Karolinas. Die NeitherNors rührten keinen Finger, um der Mannschaft zur Hand zu gehen, obwohl die auf das absolute Minimum reduzierte Crew alle Hände voll zu tun hatte.
    Täubrich machte kehrt, um eine Begegnung mit ihnen zu vermeiden. Er verstand nicht, weshalb diese Männer überhaupt an Bord waren. Hendricks behauptete, sie sollten die kostbare Ladung beschützen. Doch vor wem?
    Dass die Unionsmarine wider jedes Recht ein unter preußischer Flagge fahrendes Schiff aufzubringen versuchte, war höchst unwahrscheinlich. Aber wenn es dennoch geschah, konnten fünfundzwanzig Mann auch nichts dagegen ausrichten. Die Anwesenheit jener Leute musste demnach einem anderen Zweck dienen. Nur welchem, wollte sich Täubrich auch durch schärfstes Nachsinnen nicht erschließen.
    Eine ruppige Böe schlug dem Doktor ins Gesicht. Der Wind

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