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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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weit überforderten. Somit war sie auch keinesfalls erstaunt darüber, dass Rebekka klare politische Ansichten hegte. Ihr war nur nicht wohl dabei, diese Ansichten ausgerechnet in aller Öffentlichkeit zu diskutieren. Doch sie konnte nicht anders, als beizupflichten.
    »Sie sprechen aus, was ich schon lange denke«, stimmte Amalie mit wachsam gesenkter Stimme zu. »Der König und seine Gefolgsleute stemmen sich verbissen gegen alle Reformen und verschließen sich jeglichen Forderungen der liberalen Mehrheit. Sein stures Festklammern an vorgestrigen Begriffen von Königtum und Herrschaft spaltet das Land und wird noch schlimme Folgen haben.«
    »Katastrophale Folgen«, verbesserte Rebekka. »Und ganz besonders in dieser Provinz, die zerrissen ist wie keine zweite. Die Weißen hier sind mehrheitlich liberal gesinnt. Die Schwarzen und Mulatten hingegen sind fast ohne Ausnahme konservativ und monarchistisch bis auf die Knochen. Ein Hohenzollernprinz hat ihre Vorfahren aus der Sklaverei befreit, und bis heute leben sie in einer Art Erbdankbarkeit gegenüber dem Königshaus, das sie als einzigen verlässlichen Garanten ihrer Freiheit betrachten.«
    Mit einem Schritt nach links wich Amalie einer Kiste voller schwarz-weißer Papiergirlanden aus. »Sie teilen diese Auffassung offenbar nicht, Rebekka.«
    »Aus Trägheit der Mehrheit zu folgen, ist meine Sache nicht«, bestätigte die Direktorin Amalies Vermutung. »Freiheit wird nicht durch Könige verbürgt, davon bin ich überzeugt. Und schon gar nicht durch diesen König.«
    Abschätzig verzog Amalie den Mund. »Bestimmt nicht. Seitdem er seinem Bruder auf den Thron nachgefolgt ist, herrscht eine beklemmende Atmosphäre im Land. Daran lag es vielleicht auch, dass ich gewissen Herrschaften ein Dorn im Auge war. Eine denkende Frau, Gott bewahre! Diese Leute haben mir bei meinen Bemühungen ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen. Dass ich mich für den Wechsel nach Amerika entschieden habe, kam ihnen wohl ganz gelegen.«
    Sie hatte den letzten Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da rief die Direktorin unvermittelt aus: »Das ist es!«. Amalie schaute sie irritiert an, und Rebekka fuhr fort: »Plötzlich ist alles klar. Jetzt verstehe ich, wieso das Ministerium Ihnen die Stelle an unserer Schule angeboten hat, obwohl wir doch nicht einmal Schülerinnen haben. Man wollte Sie ganz einfach loswerden.«
    Schlagartig erfasste Amalie, was mit ihr geschehen war. Eine tiefe Zornesfurche bildete sich zwischen ihren Augenbrauen und sie musste sich arg zusammennehmen, um nicht in einen höchst undamenhaften Schwall von Verwünschungen auszubrechen. »Verflixt! Sie haben recht. Dass ich nicht früher darauf gekommen bin! Die haben mich absichtlich hierher versetzt, damit ich abgeschoben bin und keinem Mädchen unerwünschte Flausen in den Kopf setzen kann. Oh, das war hinterhältig!«
    »Ärgern Sie sich nicht. Letztlich beweist das nur, dass Sie in den Augen dieser Männer eine echte Gefahr darstellten«, beschwichtigte Rebekka die aufgebrachte Lehrerin. »In gewisser Weise ist das ein aufrichtiges Kompliment an Ihren Intellekt. Ein seltenes Eingeständnis von Männern, auf das Sie stolz sein können.«
    Für eine Sekunde war Amalie unschlüssig, ob sie auf ihre absonderliche Situation mit Flüchen oder Lachen reagieren sollte. Ohne dass sie eine bewusste Entscheidung getroffen hatte, begann sie dann aber zu lachen, und Rebekka stimmte ein.
     
    Die beiden Frauen erreichten das bereits reichlich mit Girlanden aus Seidenblumen behängte Denkmal in der Mitte des Platzes. Als sie um das Standbild herumgingen, erblickte Amalie unverhofft ein bekanntes Gesicht.
    Dort stand Theodor Fontane, der die Inschriften und Reliefs des Sockels studierte und in seinem kleinen Büchlein eifrig Notizen machte. Doch sobald er seine Reisegefährtin bemerkte, steckte er das Buch ein und begrüßte sie mit den für ihn typischen wohlgesetzten Worten. Er war besonders erfreut, als Amalie ihm Rebekka Heinrich vorstellte, denn wie sich herausstellte, war ihm der Name der einzigen Schuldirektorin Preußens geläufig.
    Fontane verbarg seine überschäumende Begeisterung für Friedrichsburg nicht. »Eine Stadt, die man nicht anders als herrlich nennen kann«, urteilte er enthusiastisch. »Das etwas strapazierte Bonmot, demzufolge Friedrichsburg zugleich die schönste Stadt Preußens wie auch Amerikas sei, hatte ich lange für eine hohle Phrase gehalten. Aber nun sehe ich, dass es einfach nur die reine Wahrheit

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