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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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fremden Joch nicht beugen lassen. Auf Jeremiah Weaver!«, ergänzte Bard.
    »Er verdient’s, aber auf den müsste man eigentlich mit einem Fass anstoßen«, lachte Thompson auf. »Und weil ich gerade ku-kurios gelaunt bin, trink’ ich auch auf Friedrich Heinze. Dieser verdammt krumme Hund. Wie der ins Gras gebissen hat, einmalig!«
    Beide stürzten zugleich den Whiskey hinunter. Thompson schickte sich an, die Gläser noch einmal nachzufüllen, da trat unvermutet der rotbärtige Mann vom Nachbartisch an ihn heran.
    »Verzeihen Sie vielmals, dass ich mich so aufdränge. Mein Name ist John Smith«, stellte er sich vor. »Ich hörte durch Zufall, wie Sie Friedrich Heinzes Dahinscheiden erwähnten.«
    Zunächst wollte Thompson dem Fremden ins Gesicht sagen, dass er ihm die Aufdringlichkeit nicht verzieh, und ihn auffordern, wieder zu gehen. Dann aber ließ er sich in seiner vom Alkohol gelösten Stimmung dazu verleiten, sein Gegenüber stattdessen mit einer improvisierten kleinen Komödie zu verwirren.
    »Ach ja, Heinze! Welch’ ein Tod! Welch’ ein Weg, diese Welt zu verlassen«, deklamierte er theatralisch überzogen.
    »Ein rätselhafter Weg, das steht außer Frage«, merkte Smith an. »Schließlich weiß ja niemand, wie er tatsächlich zu Tode kam.«
    Plötzlich verspürte Thompson in alkoholgeschwängertem Übermut das Verlangen, die Farce auf die Spitze zu treiben. Natürlich wusste er rein gar nichts über die wahren Umstände von Heinzes Ende. Aber wer hinderte ihn daran, dem lästigen Fremden mit pointierten Andeutungen das Gegenteil zu suggerieren? Ihm war einfach danach, Smith in die Irre zu führen.
    »Niemand, sagen Sie? Das, Sir, denken viele. Doch k-keiner weiß, was ich weiß«, behauptete in dem mysteriösesten Tonfall, den seine immer störrischer reagierende Zunge noch hervorbrachte.
    Smiths Augen weiteten sich vor Erstaunen ein wenig. »Sie meinen damit, Sie wissen, wie Heinze wirklich starb?«
    »Ich bi-bitte um Verständnis, Sir. Aber ich habe schon m-m-mehr gesagt, als mir zusteht«, wiegelte Thompson ab.
    Bard, der sich auf die Lippe beißen musste, um angesichts der maßlos dick aufgetragenen Komödie nicht haltlos zu prusten, rüttelte seinem Freund am Arm. »Wird Zeit, dass du ins Bett kommst, Soc. Ich frag’ mich jetzt schon, wie du morgen die Matinee überleben willst.«
    »Ein wahrer Gefährte der Muse Thalia überlebt jede Vorstellung«, ließ Thompson ihn schwerzüngig wissen, protestierte aber nicht. Die beiden Schauspieler erhoben sich vom Tisch und wankten dem Ausgang entgegen. Auf dem Weg warf Thompson der Bedienung noch schwungvoll einen Doppelthaler zu und bedeutete der jungen Frau mit bühnenreifer Grandezza, dass sie den Rest behalten könne. Dann verließen die zwei Männer das
Palmetto House.
    John Smith entschied sich gleichfalls zu gehen. Er würde am nächsten Morgen früh aufstehen müssen.

5. Februar
    Der Mann mit dem kupferroten Backenbart stand vor Major Pfeyfers Schreibtisch und machte seinem Vorgesetzten Meldung. Statt des karierten Anzugs trug er an diesem Morgen den blauen preußischen Offiziersrock, den er gegenwärtig nur zweimal pro Woche anlegte. An den übrigen Tagen suchte Secondeleutnant Robert McLane inkognito Orte auf, an denen sich vorwiegend Angehörige der englischsprachigen Bevölkerung zusammenfanden. Dort hatte er unauffällig ein Auge auf jene, die Friedrichsburg aus Prinzip Charleston nannten. Der Rapport über seine Beobachtungen bestand meist aus allerlei Nebensächlichkeiten und diente alleine dazu, das Bild von der Stimmung innerhalb der dahinschrumpfenden Minderheit abzurunden. Doch was er heute zu berichten hatte, traf Pfeyfer wie ein Donnerschlag.
    »Sind Sie auch völlig sicher?«, fragte er erstaunt.
    »Jawohl, Herr Major«, bestätigte McLane. »Thompson redete ausdrücklich von Hauptmann Heinze. Irrtum ausgeschlossen.«
    Der Leutnant hatte kaum zu Ende gesprochen, da sprang Pfeyfer so ungestüm auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte und krachend zu Boden fiel. Der Lärm ließ Hauptmann FliegenderSchwarzer-Adler, der am anderen Tisch lustlos Berichte verfasste, so heftig zusammenzucken, dass er unwillkürlich mit der Schreibfeder einmal quer über das Papier pflügte.
    »Finden Sie heraus, wo sich der Mann heute aufhält! Sofort!«, verlangte Pfeyfer heftig.
    McLane, der die Reaktion seines Vorgesetzten richtig vorhergesehen hatte, konnte wie aus der Pistole geschossen antworten: »Habe bereits entsprechende Erkundigungen eingeholt,

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