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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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des Haupttors zu kennen und zu wissen, welche der Türen jenseits des schmiedeeisernen Gitters zur Wachstube führte. Beides hatte er nunmehr festgestellt.
    Der Wachposten vor dem schwarz-weiß gestreiften Schilderhaus, ein gelangweilt dreinblickender Mulatte, der unverkennbar seine Ablösung herbeisehnte, stand unbeweglich mit geschultertem Gewehr, als der General schon zum dritten Mal an ihm vorüberging. Er hatte den geistesabwesend wirkenden Mann mit dem Professorengesicht stets sofort wieder vergessen. Und auch jetzt verschwand der unscheinbare Passant aus seinem Gedächtnis, kaum dass er ihn wahrgenommen hatte.
    Der General war zufrieden. An diesem Ort würde er sich nunmehr blind zurechtfinden, wenn die Stunde kam. Damit hatte er seine Vorbereitungen abgeschlossen. Nun konnte er sich, bis die Dinge in Fluss gerieten, privaten Interessen widmen.
    Er hielt seinen Zylinder an der Krempe fest und ging schneller. Schon immer hatte er das Schlachtfeld, auf dem das preußische Invasionskorps 1777 die versammelte Streitmacht South Carolinas zerschlug, in situ studieren wollen. Mit ein wenig Glück erreichte er den nächsten Zug noch.

4. Februar
    Von den acht Bühnenkollegen, die Cedric Socrates Thompson an diesem Abend eingeladen hatte, war mittlerweile nur noch George Bard übrig. Die anderen hatten sich bereits früher verabschiedet, da sie am folgenden Tag auftreten mussten. Das hatte sie natürlich nicht davon abgehalten, gemeinsam mehrere Flaschen des besten Whiskeys zu leeren. Einen hartnäckigen Kater so zu überspielen, dass kein Mensch im Publikum Verdacht schöpfte, war eine der ersten Fertigkeiten, die sich jeder gute Mime zu eigen machte.
    Alle waren ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Thompson sie ins
Palmetto House
eingeladen hatte, um die erfolgreiche Premiere seines neuen Stücks zu begießen. Und er hatte sie in diesem Glauben gelassen, denn obwohl seine Freunde ohne Ausnahme in der Wolle gefärbte NeitherNors waren, hielt er sich strikt an die ihm auferlegte Pflicht zur Verschwiegenheit. In seinem Hirn hatte er eine Barriere aufgestellt, die ihn auch jetzt, da sich nach reichlichem Alkoholgenuss ein Gefühl wattiger Leichtigkeit seiner bemächtigte, von verräterischen Äußerungen abhielt.
    Die Bedienung brachte eine neue Flasche Kentucky Bourbon. Im Unterschied zum
American-Saloon
war das
Palmetto House
eine Enklave südstaatlicher Lebensart und wurde bevorzugt von Angehörigen der englischsprachigen Minderheit Karolinas frequentiert. Thompson war oft hier, und da man die Anwesenheit des berühmten Schauspielers als besondere Ehre betrachtete, sah man ihm stets gerne nach, dass seine ausgiebigen Zechabende im Kreise ähnlich trinkfester Theatergefährten zuweilen erheblich geräuschvoller ausfielen, als es dem eleganten Ambiente eigentlich entsprach.
    Auch heute hatten Thompson und seine Freunde sehr angeregt gefeiert, und bei aller Nachsicht empfanden die meisten anderen Gäste insgeheim Erleichterung darüber, dass die Gesellschaft der Schauspieler inzwischen auf zwei Personen zusammengeschmolzen war und ein wenig Ruhe einkehrte. Besonders ein ernst dreinblickender Mann mit buschigem, kupferrotem Backenbart und großkariertem Anzug, der schon den halben Abend allein am Nachbartisch saß und sich durch das lautstarke Gemenge aus Theaterzoten, schlüpfrigen Einzeilern und vielstimmigem Lachen sichtlich gestört fühlte, war Thompson immer wieder ins Auge gefallen und hatte ihn zu einigen spöttelnden Scherzen animiert.
    »Die machen wir noch leer, dann wird’s auch für uns langsam Zeit«, sagte er und füllte Bards Glas bis zum Rand mit Whiskey aus der frisch servierten Flasche auf. Es kostete ihn ein wenig Mühe, die Worte fehlerlos über die Lippen zu bringen; schwer und lappig lag ihm die Zunge in der Mundhöhle und tat widerborstig alles, um ihm das Sprechen zu verleiden. Vielleicht lallte er auch schon ein wenig; aber das kümmerte ihn nicht.
    »Oha, der allerfeinste Bourbon«, bemerkte Bard mit Kennerlächeln und nicht mehr völlig geradliniger Stimme. »
By the white hand of my lady,
du greifst heute aber verflucht tief in deinen Geldbeutel, Soc. Auf dich, mein spendabler Freund.« Er hob das Glas und brachte es fertig, keinen Tropfen zu verschütten.
    »Dann aber auch auf dich«, erwiderte Thompson und erhob gleichfalls sein Glas. »Und wenn wir schon mal Sprinktr… Trinksprüche ausbringen – auf die Konföderation!«
    »Und auf unsere Brüder im Geiste, die sich vom

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