Die Fahrt des Leviathan
benutzen, biss er in seinem nach wie vor schwelenden Zorn die Spitze kurzerhand ab und spuckte sie achtlos auf den Boden. »Sie sind ja mit dem furchtbaren Ereignis im Lagerhaus vertraut, bei dem auch mein Bruder Nathaniel sein Leben ließ.«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Seitdem ist Pfeyfer davon besessen, den Mann zu identifizieren, der wirklich die Kugel auf Heinze abfeuerte. Das hat sich mittlerweile herumgesprochen«, klärte der Verleger seinen Besucher auf, holte nebenher Streichhölzer aus der Westentasche hervor und entzündete zwischen zwei Sätzen die Zigarre. »Wie er aber in seinem Wahn auf die groteske Idee verfallen konnte, dass ausgerechnet Thompson darüber Bescheid wüsste, ist mir schleierhaft. Aber wer kann sich schon in die schwarzen Abgründe eines Niggerschädels hineinversetzen.«
Beaulieu horchte auf. »Besessen, sagen Sie?«
»Absolut. Mir ist manches zu Ohren gekommen. Pfeyfer hat sich bis zum Fanatismus in diese fixe Idee hineingesteigert. Er ist irrsinnig!« Weaver unterstrich seine Feststellung, indem er die Zigarre aufgeregt in der Hand schwenkte. Sein Gesicht, das schon nahezu wieder eine normale Tönung angenommen hatte, färbte sich abermals rot. »Meine Journalisten haben Augenzeugen befragt. Als Thompson im Sterben lag, schrie der Nigger noch wie von Sinnen auf ihn ein und verlangte den Namen des Schützen zu erfahren. Ist das kein eindeutiges Zeichen von Besessenheit, Sir?«
Weaver steigerte sich erneut in seine Wut hinein und erging sich in weiteren aufgebrachten Tiraden.
Doch Beaulieu kümmerte sich überhaupt nicht um die dröhnenden Ausfälle des Verlegers. Er saß ruhig da, die Hände vor dem Mund zusammengelegt und die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, aus denen stecknadelkopfgroß die Pupillen hervorstachen. Gerade war ihm ein exzellenter Einfall gekommen, den er mit niemandem zu teilen beabsichtigte.
7. Februar
Auf dem Atlantik
Georg Täubrich stand am Bug der
Leviathan
und blickte hinaus auf das graue Meer, das weit in der Ferne entlang eines kaum auszumachenden Horizonts an einen fast ebenso grauen Himmel stieß. Gelegentlich fletschte der frostig scharf über den Ozean fegende Wind die Zähne, heulte durch die Takelage und türmte die Wellen zu schäumenden Gebirgen auf. Doch der eiserne Koloss pflügte unbeirrt vorwärts. Die Gewalt der Elemente versetzte seinen riesigen Rumpf nicht einmal in leichtes Schlingern.
Jenseits des Bugspriets gab es nichts außer Wasser, das sich in öder Einförmigkeit erstreckte, so weit das Auge reichte. Ein ermüdenderes Panorama konnte Täubrich sich kaum vorstellen. Aber solange er ganz vorne an der Spitze des Schiffes stand und den Atlantik betrachtete, blieb ihm wenigstens der Anblick seiner beiden Aufpasser erspart. Wann immer er die Kabine verließ, folgten ihm mit einigen Schritten Abstand zwei Bewaffnete, die jeden seiner Schritte mit Argusaugen überwachten. Kapitän Hendricks ging kein Risiko ein.
So wird das nie etwas,
dachte der Doktor gereizt.
Ich muss einen Weg finden, meine Wachhunde zu überlisten, oder alles war vergebens.
Noch immer wollte er Schiff und Ladung vernichten. Seine Entschlossenheit war sogar stärker denn je, seitdem er wusste, dass die Fracht der
Leviathan
aus Schießpulver bestand. Zwar hatte er dem Kapitän zugesichert, sich während der Überfahrt ruhig zu verhalten. Aber an dieses unter Zwang gegebene Versprechen fühlte er sich nicht gebunden.
Zur Hölle, ich schulde Hendricks nichts. Der Kerl wollte mich für Weaver umbringen, und ich weiß noch nicht einmal, weshalb. Oh nein, diesem perversen Irren werde ich sein kostbares Schiff nehmen!
Doch noch hatte er keinen Weg gefunden, das zu bewerkstelligen. Und die Zeit rannte ihm davon. Nur noch fünf, höchstens sechs Tage, bis die Küste Karolinas am Horizont sichtbar wurde. Dann war es zu spät.
Ein barscher Windstoß, der salzige Gischtspritzer mit sich trug, schlug in Doktor Täubrichs Gesicht. Er wischte sich mit dem Handrücken das Meerwasser vom Mund und zog den Kopf tief in den hochgeschlagenen Mantelkragen zurück.
Brooklyn Navy Yard, New York
»Nun wissen Sie, was bevorsteht«, schloss Abraham Lincoln seine schnörkellos gehaltenen Erklärungen ab.
Rear-Admiral Hiram Paulding nickte; tiefer Ernst stand ihm in das von langen Jahren auf hoher See gezeichnete Gesicht geschrieben. »Ja, Mr. President. Diese Ereignisse werden unzweifelhaft von großer Tragweite sein.«
Als vier Tage zuvor das Telegramm eingetroffen war, mit
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