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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Heinrich seine Bestürzung übertrieben; dann jedoch erfasste sie mit einem Mal, dass es nicht etwa ein zerbrochenes Idealbild war, das Pfeyfer so verstörte, sondern ein heraufziehendes Unheil: »Das – das bedeutet ja, falls die Südstaaten siegen …«
    »… und sich danach auch noch Karolina holen wollen, sind wir wehrlos«, führte Pfeyfer ihren Satz zu Ende. »Alle Verteidigungspläne des Kronprinzen werden hinfällig. Viele weiße Soldaten werden sich im Ernstfall bestimmt weigern, die Waffen gegen die einfallenden Konföderierten zu richten. Und die Schwarzen versuchen dann ganz sicher, sie mit Gewalt zum Kampf zu zwingen. Sie bringen sich gegenseitig um. Ich sehe es kommen.«
    »Aber weiß der Kronprinz …?«
    Pfeyfer nickte. »Er weiß es. Ich war heute bei ihm und habe Bericht erstattet. Nie hätte ich gedacht, einen Prinzen des Königshauses so fassungslos zu erleben.«
    »Und ich hätte nie gedacht, dass ich mir das preußische Heer einmal möglichst stark und kampfbereit wünschen würde«, meinte Rebekka nachdenklich. »Diese Armee, die ich immer mit grimmigem Misstrauen beäugt habe. Vereidigt allein auf den König, zu blindem Gehorsam gedrillt, der Kontrolle durch das Parlament vollkommen entzogen. Wie ich diese Armee verfluchte!«
    »Und nun hast du deine Ansichten revidiert«, folgerte Pfeyfer mit einem Anflug von Stolz.
    Rebekka schüttelte den Kopf. »Keine Spur. Ich empfinde nur die perverse Ironie dieser Situation. Die Bewahrung der Freiheit hängt ausgerechnet an einer Institution, die ihrem Wesen nach zur Einschränkung der Freiheit bestimmt ist. Wie absurd.«
    »Ich hätte es wissen sollen«, seufzte Pfeyfer leicht düpiert. Damit entlockte er Rebekka zum ersten Mal an diesem Abend ein Kichern. Das nahm ihm ein wenig Last von der Seele, obgleich er nicht einmal raten konnte, was an seiner Äußerung lustig sein sollte.
    Er blies die Kerze auf dem Nachttisch aus. Unter der Bettdecke rückte Rebekka nah an ihn heran, und bevor er in einen schweren, traumlosen Schlaf hinüberglitt, spürte er noch, wie sie sich fest an ihn klammerte.
     
    Schrilles Kreischen ließ Pfeyfer jäh aus dem Schlaf schrecken. Er riss die Augen auf und blickte in ein helles Licht, dessen Quelle er nicht kannte. Rebekka drängte sich schutzsuchend an ihn; er hörte ihr angsterfülltes Keuchen, spürte ihr Herz hämmern. Instinktiv legte er eilig den Arm um sie und zog sie an sich, noch bevor er verstand, was eigentlich vorging.
    Pfeyfer war desorientiert; auf seinen Augen lag nach dem plötzlichen Erwachen ein milchiger Schleier, der alles in einem dunstigen Halbdunkel verschwimmen ließ. Doch er konnte hinter dem Lichtschein am Fußende des Bettes eine schemenhafte Gestalt ausmachen, die eine Bullseye-Laterne hielt. Durch die runde Glaslinse trat der Schein der Petroleumflamme und tauchte, was vor ihr lag, in weißgelbes Licht.
    »Raus! Sofort!«, brüllte er den Eindringling aggressiv an, in der Annahme, ihn so verunsichern und vertreiben zu können.
    »Aber nicht doch. Empfängt man so einen Besucher?«, entgegnete der Unbekannte süffisant auf Englisch.
    Der Klang der Stimme ließ Rebekka vor Schrecken zusammenzucken. Pfeyfer glaubte, seine Ohren hielten ihn zum Narren. Er blinzelte hektisch, um den Nebel von seinen Augen zu vertreiben. Fast im gleichen Moment, da er schlagartig wieder klar sehen konnte, drehte der Fremde die Laterne ein wenig und gab sich zu erkennen. Das Licht fiel schräg auf das Gesicht Charles Beaulieu s.
    »Sie!«, stieß Rebekka entgeistert hervor.
    In Pfeyfer schoss der Zorn empor. Er wollte aufspringen und den Südstaatler mit einem Faustschlag zu Boden schmettern.
    Doch dann wurde er gewahr, dass Beaulieu in der anderen Hand einen Colt hielt. Und die Mündung war nicht auf ihn gerichtet, sondern auf Rebekka.
    »Ich bitte, mein unangekündigtes Erscheinen zu verzeihen«, sagte Beaulieu breit grinsend und mit hohngetränkter Höflichkeit. Jede Silbe verriet, wie sehr er seinen Auftritt genoss.
    »Ich ahnte schon, dass Sie recht aufbrausend auf meine Anwesenheit reagieren würden«, meinte der Südstaatler gelassen. »Ursprünglich hatte ich deswegen vor, Ihnen vorsorglich ins Bein zu schießen, damit Sie mich nicht attackieren können. Da ich Sie jedoch entgegen meiner Erwartung nicht alleine antreffe, kann ich Sie auf erheblich elegantere Weise von Unbedachtheiten abhalten.«
    Er ließ die eigentliche Drohung unausgesprochen und hob stattdessen den Revolver nonchalant an, wie bei einer

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