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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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nicht mehr ausschließlich gegen die Liberalen im
Alcazar;
in Sprechchören beschuldigten sie die Soldaten, Verbrecher zu beschützen.
    Pfeyfer merkte, wie diese Parolen den ohnehin schon verunsicherten Männer noch mehr zusetzten. Aber als weit bedrohlicher empfand er das Näherrücken der Menge. Er musste sie auf Distanz halten. Aus der Militärgeschichte war ihm das Phänomen bekannt, dass eine große Menschenansammlung, der nicht mit Entschlossenheit Grenzen aufgezeigt wurden, sich schlagartig ihrer Stärke bewusst werden konnte. Das musste er verhindern. Er wollte an die Angst des Einzelnen appellieren, um die Macht der Masse zu schwächen. Das aber war nur mit einer klaren Drohung möglich. Er würde Befehl geben, eine Salve über die Köpfe hinwegzufeuern. Natürlich hatte er nicht vor, danach kaltblütig in die Menge schießen zu lassen. Aber das wussten die Leute ja nicht.
    »Ganze Kompanie bereitmachen zum Feuern!«, rief er aus Leibeskräften. »Nur auf mein Kommando feuern! Legt an!«
    Durch die Situation angespannt, reagierten die Soldaten nicht so präzise synchron wie auf dem Exerzierplatz. Einige handelten sofort, andere schienen die Order erst mit einigen Augenblicken Verzögerung zu erfassen und manche waren derart fahrig, dass ihnen die eigentlich im Schlaf vertrauten Griffe zunächst misslangen. Aber alle machten sich schussbereit.
    Alle bis auf einen. Ein schwarzer Soldat gleich neben Pfeyfer machte keine Anstalten, sich zu rühren.
    »Füsilier! Ich habe einen Befehl erteilt!«, herrschte der Major ihn ungehalten an.
    Daraufhin wandte der Soldat sich zu Pfeyfer um, starrte ihm herausfordernd ins Gesicht und entgegnete nur: »Nein.«
    Er warf das Gewehr auf den Boden und verschränkte trotzig die Arme. Pfeyfer erschrak.
    Der Vorfall entging auch den anderen Soldaten nicht. Sie drehten die Köpfe, blickten ungläubig auf ihren Kameraden. Erstaunen und Verwunderung stand in ihren Mienen. Und bei vielen der Schwarzen und Mulatten glaubte Pfeyfer zu seinem Entsetzen noch mehr zu erkennen.
    Ein Schauer durchfuhr den Major. Eine Meuterei stand bevor und er fühlte sich gelähmt und hilflos. Vor seinem geistigen Auge sah er, was unvermeidlich geschehen musste. Er sah, wie das Monstrum Masse untrüglich den Zerfall der Kompanie witterte, über den geschwächten Feind herfiel, in einer alles verschlingenden Woge über die Soldaten hinwegtrampelte, das Konzerthaus stürmte. Kein Befehl, keine Androhung von Strafe konnte das Verhängnis jetzt noch aufhalten. Nur ein Wunder.
    Herr Jesus, hilf mir da raus!,
schickte Pfeyfer ein stummes Stoßgebet zum Himmel.
    Das Wunder geschah. Aus einer der Seitenstraßen erscholl das rasch anschwellende Donnern von Hufen.
    Im nächsten Moment sprengten Dragoner auf den Platz und trieben die aufkreischenden Menschen auseinander, indem sie mit den flachen Seiten ihrer schweren Säbel auf alle einhieben, die nicht schnell genug zurückwichen.
    Mit dem plötzlichen Verschwinden der unmittelbaren Gefahr verflüchtigte sich auch das Gespenst der Meuterei. Die unendliche Erleichterung der Soldaten erstickte die aufkeimende Rebellion.
    Pfeyfer atmete auf. Dann ließ er den aufsässigen Füsilier durch zwei Soldaten abführen und verfolgte, wie die Kavalleristen den Platz räumten. Die Masse zerfiel in eine Schar kopflos flüchtender Individuen, von denen jedes nur noch seine eigene Sicherheit im Sinn hatte. Es war überstanden.
    Für dieses eine Mal noch,
dachte Pfeyfer.
     
    * * *
     
    »Mein Gott, du wärst fast gestorben!«, entfuhr es Rebekka erschüttert. Während Pfeyfers Schilderung der Ereignisse hatte sie sich zur Gefasstheit gezwungen; nun aber konnte sie nicht länger an sich halten.
    Der Major saß halb aufgerichtet im Bett, die Arme fest um die angewinkelten Beine geschlungen. »Fast, ja«, bestätigte er halblaut. »Und ich hatte scheußliche Angst. Ich wusste bis heute nicht, dass ich solche Angst empfinden kann.«
    Er verstummte, aber Rebekka wollte sich mit seinem Schweigen nicht abfinden. »Dir liegt doch noch mehr auf der Seele. Sprich es aus«, forderte sie ihn auf.
    Unschlüssig rang Pfeyfer mit sich, bis er schließlich aufgewühlt fortfuhr: »Ich hatte mir wider alle Vernunft eingeredet, die Soldaten wären gegen die um sich greifende Zwietracht immun. Nun weiß ich, dass ich mir etwas vorgemacht habe. Die Armee wird vom gleichen Keil gespalten wie der Rest Karolinas. Herrgott, wie konnte es so weit kommen? Das ist das Ende!«
    Zunächst fand Rebekka

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